Gefahrene Kilometer: 54,5.
Gold schürfen im Fluss, zu einem
verfallenen Schiffswrack wandern, im Stau stehen vor der Fähre,
organischen Kaffee im Alchemy Cafe trinken und auf einem Berg hoch
über der Stadt die Sonne genießen und mit Santa über das Leben im
Yukon reden. Ein Tag in Dawson City.
"The winter! the brightness that
blinds you,
The white land locked tight as a drum,
The cold fear that follows and finds
you,
The silence that bludgeons you dumb.
The snows that are older than history,
The woods where the weird shadows
slant;
The stillness, the moonlight, the
mystery,
I've bade 'em good-bye - but I can't"
(aus "The Spell of the Yukon"
von Robert Service)
"Stillness" haben wir heute
Nacht auf dem Goldrush Campingplatz nicht erlebt. Eher benachbartes
Hundegebell und lärmende Menschen. Das ist auch ein Nachteil der
Camper-Konstruktion: Die Wände sind sehr dünn, jedes Außengeräusch
ist zu gut wahrnehmbar. Dafür ist die Lage des Platzes mitten in der
Stadt sehr schön, die Leute an der Rezeption super hilfsbereit und
wir haben für unsere Verhältnisse sehr lange geschlafen, so dass
wir die Check-out Zeit um 11:00 Uhr gerade so schaffen.
Für jeden sollte der erste Anlaufpunkt
in Dawson das hervorragend ausgestattete (nicht nur mit freiem WLAN)
Visitor Center sein. Dort mieten wir einen mp3-player für einen
self-guided Stadtspaziergang durch die Stadt. Und Dawson kann sich
wirklich sehen lassen.
Wir erfahren Geschichten u.a. über das
Krankenhaus zu Goldrausch-Zeiten, über das damals auf- und
verblühende Rotlichtviertel und sehen den Raddampfer SS Keno.
In den
Jahren nach 1896 (also nachdem am Nachmittag des 17. August im Kies
des Rabbit Creek Gold gefunden wurde, die Nachricht in den Rest des
Landes drang und Tausende von Abenteurern in Dawson einfielen) zeigte
der Raddampfer die wichtigen Jahreszeiten an: Winter und das
restliche Jahr. Wenn der Dampfer Dawson im Spätherbst vor dem
Gefrieren des Yukon verließ, wussten die Einwohner, erst in vielen
Monaten gibt es wieder Kontakt zur Außenwelt nach Whitehorse. Und
wenn im Frühjahr das Schiffshorn schon Meilen vor der Ankunft wieder
das erste Mal zu vernehmen war, sammelte sich die ganze Stadt am
Anleger.
Wir sammeln nach dem Spaziergang unsere
warmen Wanderstiefel und machen das, was schon Robert Service
eindrücklich beschrieben hat: Gold suchen!
Knapp 20 Kilometer von
der Innenstadt liegt der sog. "Claim 33", ein wie zu
Hochzeiten abgestecktes Stück Land, in dem man für eine kleine
Gebühr im Fluss nach Gold schürfen kann. Vorher wird uns Neulingen
noch gezeigt, in welchem Winkel wir die Goldwaschpfanne halten
müssen, damit sich das schwere Gold von dem wertlosen Gestein löst
und am Boden absetzt.
Ein Erfolgserlebnis ist beim Training
garantiert: Einige kleine "Nuggets" (im Wert von 6 $!) nehmen
wir auf jeden Fall mit nach Hause.
Auf dem Weg zum Claim an der ehemaligen
Goldgräbersiedlung Bonanza stellen wir überrascht fest, dass heute
noch immer einige Verwegene nach Gold suchen. Natürlich nicht mehr
mit der Pfanne, sondern mit großen Baumaschinen und moderner
Technik, aber nicht minder verblüffend, dass die Erfolgsaussichten
offensichtlich nicht bei Null liegen. Wir haben jedenfalls eine Menge
Spaß beim Schürfen am Fluss. Leider sind wir aber auf keine
unentdeckte Goldader gestoßen.
Um mehr Erfolg zu haben, hätten wir
wahrscheinlich nochmal die alte Gold Dredge No. 4, einer der größten
Goldschwimmbagger aus Holz, anwerfen müssen.
Nach so viel harter Goldsucherei müssen
wir uns zurück in Dawson erst einmal stärken. Dazu eignet sich
unserer Meinung nach ganz hervorragend das "Reuben"
Sandwich im Jack London Grill wie auch ein leckeres Stück Bio-Kuchen
im Alchemy Cafe.
Danach setzen wir erneut mit der Fähre
auf das andere Yukon-Ufer über und steuern den staatlichen
Campground an. Allerdings nicht um hier zu übernachten. Wir suchen
einen alten Raddampfer, der als Wrack direkt am Strand des Yukon die
Zeit über sich ergehen lässt.
Ein kurzer Weg stromabwärts vom Ende
des Campingplatzes direkt am Strand entlang führt zu ihm.
So schnell wir dort waren, so lange
brauchen wir, um wieder nach Dawson zu gelangen: Ein riesiger Truck,
mit zwei schweren Baumaschinen beladen, steht an der Fähre. Die
Maschinen scheinen so schwer zu sein, dass die Fähre jeweils nur
eine aufladen kann. Auf diese Weise hat man dann im Niemandsland
Fähr-Wartezeiten von einer Stunde.
Das macht aber nichts, denn wir müssen
heute Abend nirgendwo rechtzeitig einchecken. Wir übernachten
nämlich einfach im Wald auf dem "Midnight Dome", dem hohen
Berg über Dawson, von dem man einen fantastischen Blick auf die
Landschaft hat. Wir haben zudem Glück, dass das Wetter mitspielt und
die Wolken sich verziehen.
So genießen wir auf der riesigen
Holzparkbank auf dem Gipfel den nicht stattfindenden Sonnenuntergang
und lernen "Santa" kennen. Santa ist in England geboren,
war zu Militärzeiten in Deutschland stationiert und machte
schließlich vor vielen Jahren den Weg von Iowa nach Dawson City,
Yukon. Er wohnt 25 Kilometer von Dawson entfernt am Klondike River in
einer Hütte im Wald. Warum? Weil Dawson mit seinen etwa 1.000
Einwohnern einfach viel zu betriebsam und geschäftig ist. Er war
heute in der Stadt, um seine Post abzuholen. Erfolglos, weil die Post
geschlossen hatte. Er stattet bei diesem Ausflug aber regelmäßig
dem Midnight Dome einen Besuch ab. Wir freuen uns darüber, denn so
erfahren wir, wie das Leben hier im hohen Norden so sein kann.
Schnell geklärt ist, warum Santa Santa heißt. Wer mit Blick auf das
Äußere (große, kugelrunde Figur, unfassbar langer weißer Bart)
noch nicht die Assoziation hatte, der hatte sie spätestens nach dem
Santa für die Kinder von Dawson bei Aufführungen den Weihnachtsmann
gespielt hat. Und schließlich hat jeder (richtige) Einwohner einen
Spitznamen. Santa, Caveman Bill, der in einer Höhle wohnt oder auch
einfach the Indian (was nicht sehr aussagekräftig ist, da 1/3 der
Einwohner in Dawson von den First Nations abstammt.
Dawson scheint alles zu haben, was man
so für das Leben braucht. Seit neuestem ein kleines Krankenhaus, in
dem das Nötigste erledigt werden kann. Dazu gehört allerdings keine
Geburtsstation. Schwangere müssen zwei Wochen vor dem Stichtag nach
Whitehorse gebracht werden. Eine Fahrt, die 6 Stunden in die eine
Richtung dauert, die aber jeder tätigt, wenn er mal groß einkaufen
muss. Dafür wird der Richter dann alle zwei Wochen aus Whitehorse
eingeflogen, wo er dann im Museum (in äußerst dekorativem Rahmen)
Recht spricht. Wer hier lebt, der schätzt eben andere Dinge. Und wer
lebt hier? Santa meint, es gebe den Satz, dass unter 100 Menschen
immer 5 "Besondere" seien. Hier in Dawson sind eben mehr
als nur die 5 %. "People that drift in their lives, they usually
drift to the end of the road. During most of the year, there is no
ferry in Dawson, so the end of the road is here. And that's where
they stay." Er selbst kam für eine Frau nach Dawson. Die Frau
ging, er aber ist geblieben.
Und schätzt wie die anderen Einwohner
in Dawson und in den Hütten in den umliegenden Wäldern zum Beispiel
die Aurora Borealis, die man im Herbst und Frühjahr "ohne Ende"
betrachten kann. Und Santa erklärt uns, dass wenn Einheimische über
Temperaturen im Winter sprechen, das "Minus" davor
weggelassen wird. So sei es noch wirklich angenehm, 25 Grad Celsius
zu haben, man könne bei 30 oder 40 Grad noch draußen arbeiten,
wohingegen er es bei 50, 55 Grad Celsius einfach zu kalt draußen
findet. Sagt der Mann, der im kalten, kräftigen Gipfelwind im
T-Shirt neben mir sitzt, während ich Fleece und Regenjacke um mich
geschlungen habe. Man wird aber schon als Schulkind an diese
Temperaturen gewöhnt, denn bis (-) 25 bis 30 Grad Celsius werden die
Kinder noch zum Spielen in den Schulpausen nach draußen gelassen.
Und dann wird es tiefer Winter und es kommen 6 Wochen im Jahr, in
denen die Sonne die umliegenden Hügel kein einziges Mal übersteigt
und es komplett dunkel bleibt.
Ich: "Well, what do you do in
winter time?"
Santa: "Well why, you just live."
Fazit Tag 18:
"There's gold, and it's haunting
and haunting;
It's luring me on as of old;
Yet it isn't the gold that I'm wanting
So much as just finding the gold.
It's the great, big, broad land 'way up
yonder,
It's the forests where silence has
lease;
It's the beauty that thrills me with
wonder,
It's the stillness that fills me with
peace."
(aus "The Spell of the Yukon"
von Robert Service)