Bangkok nach Denpasar.
„Du glaubst also daran, dass du
bereits 3000 mal wiedergeboren wurdest?“ „Ja, ich bin mehr als
3000 mal wiedergeboren und versuche in diesem Leben dem Zustand der
allumfassenden „spirit-consciousness“ wieder ein Stück näher zu
kommen.“ „Und, glaubst du, du wirst es in diesem Leben schaffen?“
Yande muss lachen. „Das weiß ich noch nicht.“
Yande Ardana ist Balinese,
Erstgeborener und unser Tourguide für einen Tag hier auf der Insel.
17 Stunden verbringen wir zusammen, in denen er uns das Leben auf
Bali abseits der Touristenorte und Surfer-Strände zeigt. Und das ist
nunmal stark von religiösen Ritualen und Traditionen geprägt,
weshalb wir uns mit Yande immer wieder über die für uns Westler
fremden hinduistischen Glaubenswelten unterhalten.
Dabei wären wir fast gar nicht nach
Bali gekommen. Am 01. April sollte unser Flug mit Thai-Airways von
Bangkok nach Denpasar gehen. Die thailändische Hauptstadt
verabschiedete uns mit strahlend blauem Himmel, während uns eines
der gelben Taxen zum Flughafen Suvarnabhumi brachte. Im Ranking der
weltweit größten Flughäfen belegt er den 17. Rang und
dementsprechend lang waren die Warteschlangen vor den Check-In
Schaltern von Thai. Als wir nach einer Stunde an der Reihe waren und
zur Ticketbestätigung unsere Reisepässe abgaben, kam die
Überraschung: Es gab keine Buchung für uns für den Flug nach Bali.
Wir hätten schon am 25. März fliegen sollen. Ursprünglich war das
auch so geplant, aber wir haben bereits vor zwei Wochen über die
Reiseagentur unseres Vertrauens die Umbuchung vornehmen lassen, die
bereits von Delhi nach Bangkok problemlos geklappt hat. Unklar wo der
Fehler lag, gab es ein paar längere Telefonate und Gespräche. Am
Ende hatten wir Glück, dass der Flieger nicht ausgebucht war und die
professionelle Thai-Mitarbeiterin uns daher zwei Plätze besorgen
konnte. Im Laufschritt ging es dann durch die Sicherheitskontrolle,
zum Tauschen der restlichen Baht in indonesische Rupiah und als eine
der Letzten in das bereits wartende Flugzeug.
Bali ist eine der kleineren Inseln des
riesigen indonesischen Inselstaats. In Luftlinie ist sie 95km lang
und 145km breit. Die meisten Siedlungen befinden sich im Süden, da
zum Norden hin die Landschaft in eine vulkanische Gebirgskette
übergeht. 93% der knapp 4 Mio. Einwohner sind ungewöhnlicherweise
Anhänger des Hinduismus und machen Bali zu der Region mit den
meisten Hindus außerhalb von Indien und Nepal. Ungewöhnlich ist
dieser Umstand, weil sich Bali in einem Indonesien befindet, das
überwiegend von Moslems bewohnt wird und dass das
bevölkerungsreichste muslimische Land der Welt ist.
Gesprochen wird auf Bali natürlich
Indonesisch, ein wichtiger einigender Faktor für ein Land, das aus
über 16.000 (!) Inseln besteht. Indonesisch hat sich aus dem
Malaiischen entwickelt, gleichzeitig viele Wörter aus Fremdsprachen
übernommen und benutzt lateinische Schriftzeichen. Das „Halo!“
zur Begrüßung kommt uns natürlich sehr vertraut vor. Unser
Loose-Reiseführer verdeutlicht mit einem Beispiel diese interessante
Mischsprache: „Wenn ein jerman intelektual mit viel emosi
im Restoran am telepon hängt, um vom imagrasi
(birokrasi) endlich den pas und die permisi für
den impor von einem mobil zu kriegen. Doch der agen
polisi hat eine infeksi und ist mit dem taksi zum
dokter und zur apotik.“ Neben Indonesisch wird auf
Bali aber eigentlich Balinesisch gesprochen. Eine komplett andere
Sprache, deren Schriftzeichen eher dem Thailändischen ähneln.
Für uns sind die Tage auf Bali aber
vor allem eins: Entspannung. Es tut zur Abwechslung mal gut, für
längere Zeit an einem Ort zu bleiben und nicht jeden Tag die
Rucksäcke aus- und wieder einzupacken. Deshalb haben wir uns in der
Siedlung Legian, an der Grenze zu Seminyak einquartiert. Die beiden
Strandabschnitte liegen im Südwesten der Insel nördlich vom
Touristenhotspot Kuta. Alle drei, mittlerweile zusammengewachsene,
Städte zeichnen sich durch einen kilometerlangen Sandstrand und
viele Hotels aus. Überall gibt es Surfschulen am Strand, die einem
das Reiten auf den kontinuierlich hereinbrechenden Wellen beibringen
möchten. Während in Kuta im Allgemeinen am meisten Trubel herrscht,
im positiven wie negativen Sinne, wird es ruhiger je weiter nördlich
man kommt, dafür aber auch teurer. Unsere Anlage heißt „Puri
Damai“ und vermietet nur 8 Einzel- und 4 Familienapartments.
In der
ruhigen (wenn man nicht die Unterkünfte zur Straße hin hat) und
netten Anlage gibt es einen kleinen Pool
und jedes Apartment ist mit
einer eigenen nach draußen offenen Küche mit Gasherd, Kühlschrank
und Geschirr ausgestattet. Wir konnten endlich mal wieder
Lebensmittel einkaufen und selbst kochen.
Aber Bali kann nicht nur entspannend
sein. Jeder, der hier einmal an der Strandpromenade oder in der
Straße vor seinem Hotel entlanggegangen ist, kennt es und es gibt
nur wenige, die nicht an einem Punkt unfassbar genervt sind. Alle
fünf Meter wird man angesprochen, jemand möchte dir etwas verkaufen
oder dich in sein Geschäft winken oder dich auf seinem Moped
mitnehmen. Die vorbeifahrenden Taxen hupen um deine Aufmerksamkeit um
die Wette. Jedes dritte Geschäft scheint ein Spa oder ein
Massagesalon zu sein und die Damen kreischen dir, eine lauter als die
andere, die Wörter „Massage!“ oder „Pedicure!“ oder
„Manicure!“ entgegen. Die TOP-3 Sprüche, die, wir gehen jede
Wette ein, jeder Balireisende jeden Tag hier zu hören bekommt, sind
in der Reihenfolge ihrer Häufigkeit: Nr. 3: „Excuse me Boss! Have
a look in my shop!“ Nr. 2: „My friend! Need transportation?“
Und die Nr. 1, der Klassiker und zeitlos gut: „Hello! Yes?!
OKAY!?!“ Das Nervigste an Letzterem war dabei sogar, dass völlig
unklar blieb, was einem überhaupt verkauft werden sollte.
Doch all das ist wieder vergessen, wenn
man sich mit dem Surfbrett in der Hand durch die schaumigen Wellen
Meter um Meter nach draußen ins Meer vorkämpft, sich in der Pause
zwischen zwei Wogen aufs Board wirft und umdreht und die wenigen
Sekunden auskostet, die man dann auf dem Surfbrett steht, vielleicht
sogar die Welle entlang steuert, bevor das Meer beschließt, dass es
genug gesehen hat und dir eine Salzwasserspülung verabreicht. Und
weil das so viel Spaß macht, kämpft man sich immer wieder aufs Neue
hinaus. Alleine oder bucht, so wie wir es gemacht haben, in einer der
Surfschulen Surfunterricht. Wir können guten Gewissens Paul's „Up2U
Surf School“ empfehlen, die es geschafft hat, nach 90 Bewertungen 5
Sterne bei tripadvisor zu haben und dass sogar Walter bei jeder
zweiten Welle auf dem Board stehen konnte.
Das Leben in Bali spielt sich jedoch
nicht nur am Strand und in den Straßen mit den Händlern ab, die von
den Touristenmassen angelockt wurden. Deshalb finden wir irgendwie
die Kraft an einem Sonntag um 03:15 Uhr aufzustehen, einen Kaffee zu
trinken und vor dem Hotel auf Yande zu warten. Er holt uns mit seinem
Auto ab und wir fahren auf den schmalen Straßen die Berge in
Richtung Norden hinauf. Wir mussten um 04:00 Uhr los, um rechtzeitig
im Bergdorf Kintamani zu sein und dort den Sonnenaufgang zu erleben.
Von einer Gebirgsstraße konnten wir dann am Horizont den mit 3000m
Höhe größten Berg und Vulkan der Insel, den Gunung Agung, sehen.
Er ist zuletzt 1963 ausgebrochen. Die Balinesen glauben, dass er der
Sitz der Götter ist. Links von ihm liegt in einem tiefen ehemaligen
Vulkankrater der Batur-See. Der See wird von dem anderen großen und
viermal im 20. Jahrhundert aktiven Vulkan Gunung Batur eingerahmt.
Erstaunlicherweise waren wir um diese
frühe Uhrzeit in dem kleinen einheimischen Bergdorf nicht allein.
Die Straße waren voller Autos und Menschen, die lächelnd und
neugierig unsere Stative bestaunend an uns vorbeigingen. Sie waren
auf dem Weg zu einem wichtigen Tempel, der sich ganz in der Nähe
befand. Die Männer trugen ihre festliche weiße Bekleidung und das
weiße Stirntuch, genannt „Udang“, und die Frauen balancierten
(ohne die Hände zu benutzen) auf ihren Köpfen die Körbe mit den
Opfergaben. Diese waren gefüllt mit Räucherstäbchen, Obst und
kleinen Schälchen aus Bananenblättern. Es ist gerade das Fest von
Galungan und Kuningan zu Ende gegangen, eine zehntägige Feier zu
Ehren der Schöpfer der Welt. Dabei gilt, die zur Erde
herabgestiegenen Götter mit Opfergaben willkommen zu heißen.
Nach dem Sonnenaufgang sind wir mit
Yande auch in den Tempel gegangen. Damit die Knie bedeckt sind,
bekommt auch Walter ein traditionelles Tuch um die Hüften gebunden.
Christina muss als Frau sowieso langärmlige Kleidung tragen. Im
Tempel sehen wir Statuen zu Ehren von Shiva, die es in ähnlicher
Form in den Tempeln der Cham im Dschungel vor Hoi An gab,
Ganesh-Figuren, der menschliche Körper mit Elefantenkopf, und
erfahren, dass der wichtigste Schrein im Tempelgelände immer
derjenige ist, der kein Dach hat.
Yande führt hier seine kleine
Einführung in das balinesisch-hinduistische Denken fort. Das
Wichtigste für die Balinesen sei immer das Herz. Der Kopf habe zwar
meistens die Kontrolle, aber es gelte ihn auszuschalten bzw. zu
kontrollieren und das Herz regieren zu lassen. Das bedeutet, dass man
sich frei von negativen Gefühlen, wie Eifersucht oder Gier, machen
solle. Um das zu erreichen, müsse man meditieren. Die göttliche
Energie durchflute den Körper von oben durch den Kopf und fließe in
einem Gang an der Wirbelsäule hinunter. Je größer das meditative
Können, desto breiter könne der Kanal fließen. Hindernisse sind
die drei Knoten, drei große Druckpunkte, die es zu lösen gilt.
Einer sitzt in der Stirn, der zweite in der Brust und der dritte im
Steiß. Auf diesem Wege könne man sich dem Zustand der
„spirit-consciousness“ nähern.
Vom Tempel fahren wir runter zum
Kratersee im Tal
und weiter zur Tempelanlage von Pura Tirta Empul, in
der die Gläubigen sich regelmäßig im heiligen Wasser baden. Es
soll heilende Wirkung haben und wird schon seit 1000 Jahren von den
Balinesen als Badewasser genutzt. Einige nehmen sich sogar Flaschen
und Kanister mit dem heiligen Wasser zurück nach Hause.
Hier erzählt
uns Yande von seiner persönlichen Geschichte der Wiedergeburten. Er
ist der Meinung, dass er in seinen vergangenen Leben der
„spirit-consciousness“ schön näher war und sich in diesem Leben
an die damals gelernten Fähigkeiten erinnern muss. Irgendwann
erreiche man die höchste spirituelle Ebene und breche dann aus dem
Kreislauf der Wiedergeburten aus. Es ist eine Sache, Ausführungen
über das hinduistische Denken in einem Buch zu lesen und als
westlich aufgeklärter Mensch vielleicht mit einem Lächeln abzutun,
aber eine ganz andere vor einem Menschen zu stehen, der fest an den
Kreislauf der Wiedergeburten glaubt und einem die Bedeutung von
Kharma erklärt.
Den Rest des Tages besichtigen wir
weitere Sehenswürdigkeiten von Bali, wie die berühmten
Reisterrassen,
einen Vogelpark,
die Künstler-Stadt Ubud, das
kulturelle Zentrum der Insel,
und einen Wasserfall.
Besonders
interessant ist aber der Besuch eines traditionellen Wohnhauses. An
der Hausmauer befindet sich eine Plakette, auf der man die Hausnummer
und die Anzahl der im Haus lebenden Menschen ablesen kann.
Vor dem
offenen Eingang steht eine kleine Steinmauer, die als Sichtschutz
fungiert. Im vorderen Teil des Grundstücks befindet sich die Küche,
von der die Frau des Hauses Überblick darüber hat, wer ein- und
ausgeht, dahinter das Schlafzimmer der Großeltern und Eltern, eine
überdachte Steinerhebung, die an drei Seiten offen ist (hier sei es
ja nun mal nicht so kalt wie in Deutschland, sagt Yande),
und
geschützt dahinter das Schlafzimmer der Kinder. Im Nordosten jedes
Grundstücks stehen die Haustempel. Einer ist für die drei großen
Gottheiten Brahma, Vishnu und Shiva und einer zur Erinnerung an die
Ahnen errichtet. Sie stehen im Nordosten, weil im Norden in der
Gebirgskette von Bali die Götter wohnen und im Osten die Sonne
aufgeht. Yande meint, dass er sein Kissen nachts auch immer zum
Nordosten hin ausrichtet, selbst wenn er in einem Hotel in Europa
schläft.
Die Balinesen leben in „Communities“,
die aus bis zu 150 Familien bestehen. Die Gemeinschaft regelt das
Zusammenleben und entscheidet darüber, ob Frauen nur innerhalb der
Community heiraten dürfen und wie hoch die Brautsteuer ist, die der
Ehemann der Familie seiner zukünftigen Frau zahlen muss. In manchen
Orten ist der festgelegte Betrag allerdings so hoch, dass viele
Frauen Schwierigkeiten haben, zahlungswillige Männer zu finden.
Kommt es zu einer Hochzeit, bleibt gemäß der Tradition der älteste
Sohn mit seiner neuen Familie im Haus seiner Eltern wohnen. Die
nachfolgenden Geschwister dürfen ausziehen und neue Haushalte
gründen. Gibt es keinen Sohn in der Familie, übernimmt die älteste
Tochter die Rolle. Daher ist die erste Frage, die ein Balinese einer
Balinesin stellt, noch bevor er nach ihrem Namen fragt, ob sie Brüder
oder ältere Schwestern hat.
Die Community spielt auch eine große
Rolle, wenn es um den Tod von Gemeinschaftsmitgliedern geht. Bei den
Balinesen ist das Begräbnis, bei dem der Leichnam kremiert wird, ein
„fröhliches“ Fest, da der Geist ja weiterlebt und nur die
körperliche Hülle dieses Lebens verlassen hat. Diese Feiern sind
jedoch sehr teuer, da alle Menschen der Community eingeladen werden
und man für das Essen sorgen muss. Diejenigen, die dafür nicht
aufkommen können, begraben den Toten zunächst auf dem Friedhof.
Sind im Laufe der Zeit alle Friedhofsplätze belegt, findet für die
dort liegenden Toten, in der Regel alle fünf Jahre, eine
Massenkremation statt, die von der Gemeinschaft bezahlt wird.
Ein Beispiel für den Glauben an die
Wiedergeburt liefert uns Yande in diesem Zusammenhang aus seiner
Familie. Er ist der festen Überzeugung, dass sein Großvater als
seine Tochter wiedergeboren wurde. Ein Schamane, zu dem die Kinder
nach einer gewissen Zeit gebracht werden, hat ihm dies bestätigt.
Wie sein Großvater, der Musiker war, liebe auch seine Tochter die
Musik. Außerdem habe er leider zu Lebzeiten seines Großvaters nicht
so viel Zeit gehabt, sich um ihn zu kümmern, und deshalb sei sein
Geist in seiner Tochter wiedergeboren worden, damit er die verpasste
Zeit nachholen kann.
Zum Sonnenuntergang bringt uns Yande
schließlich zum berühmten Tempel Pura Tanah Lot, der auf einer
kleinen Felseninsel an der Küste thront.
Er ist sicher einer der am
meisten besuchten Touristenattraktionen auf der Insel. Fast schöner
ist der nur Hundert Meter weiter gelegene Tempel Pura Batu Bolong,
der ebenfalls im Meer liegt und über eine Steinbrücke zu erreichen
ist.
Wir haben unsere Zeit auf Bali auch
gerade wegen des interessanten und lehrreichen Tages mit Yande sehr
genossen. Die Insel ist von Menschen bewohnt, die eine faszinierende
Kultur besitzen, und hat uns, von den kurzen abendlichen
Regenschauern abgesehen, mit tollem Wetter schon jetzt am Ende der
Regenzeit verwöhnt. Und vielleicht sind auch wir unserer
„spirit-consciousness“ ein Stück näher gekommen.
Obwohl heute ein Flieger von Lion Air
über die Landebahn des Flughafens von Bali ins Meer gerutscht ist,
werden wir die Insel morgen trotzdem mit dem Flugzeug (nicht von Lion
Air) verlassen. Es geht mit Singapore Airlines in ihre namensgebende
Heimat Singapur. Für die zwei Nächte im kleinen Stadtstaat haben
wir uns in einem ganz besonderen Hotel einquartiert, das sicherlich
das Luxus-Highlight der Reise werden wird...
Fazit Tage 88 bis 101:
Bali ist Indonesien, aber Indonesien
ist nicht Bali.
Was haben wir heute gelernt: „Die
kleinste Einheit ist bei uns die Familie und nicht der Mensch, so wie
bei euch.“ Yande
sehr weise sprüche heute?! lg. Lore
AntwortenLöschenPS: Walter, du hast ja wieder eine Sonnenbrille ;). Echt schöne Fotos von euch und natürlich auch all die anderen. Lore
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