Das Königreich Kambodscha ist eine
konstitutionelle Monarchie. Die etwa 15 Mio. Einwohner leben in einem
Land, das etwa halb so groß wie Deutschland ist und zu zwei Dritteln
aus dem flachen kambodschanischen Becken besteht. Unsere erste Nacht
verbrachte wir in den „Hügeln der Penh“, das 1,5 Mio. Einwohner
zählende, wirtschaftliche Zentrum des Landes. Die war jedoch wieder
kurz, weil unser Nachbar um 06:00 Uhr beschlossen hat, für eine
Stunde mit Hammer und Bohrer Bauarbeiten durchzuführen. So richtig
kann man es ihm aber nicht verübeln, schließlich steigt die
Temperatur nur wenige Stunden später schon auf 35 Grad. Die Hitze
führt auch dazu, dass in den nächsten Tagen kaltes Wasser aus der
Dusche Mangelware wird.
Von der Tatsache euphorisiert, dass wir
uns wieder in einem neuen Land befinden, werfen wir uns nach der
warmen Dusche in den lärmenden Verkehr der Straße und suchen uns
ein Frühstückslokal.
Auch ohne eine Stadtkarte kann man sich in
Phnom Penh gut zurechtfinden. Die Stadt hat sich das französische
Straßensystem im Schachbrettmuster erhalten und die meisten (und
teuersten) Restaurants und Bars finden sich sowieso am Ufer des Tonle
Sap. Dort finden wir auch einen Platz zum Frühstücken. Zwar ist der
Kaffee schon alle, aber es gibt ein leckeres Müsli mit Joghurt, eine
frische Obstplatte und O-Saft.
Die Menschen in unserer neuen Umgebung
unterscheiden sich deutlich von den Vietnamesen, mit denen wir die
letzten Wochen verbracht haben. Kambodscha ist ein Land mit eigener
Kultur, Ausstrahlung und eigenen Nöten. Das zeigt sich in dem
vergleichsweise beruhigten Verkehr, der nicht mehr so stark vom Hupen
dominiert wird, in der Armut, die durch die zahlreichen bettelnden
Frauen und Kinder sichtbar wird und die Ursache einer hohen
Prostitutionsrate ist, in den Gesichtern der Menschen, die auf den
ersten Blick freundlicher erscheinen als in Vietnam, und in den
vielen wartenden TukTuk-Fahrer, die einem bei erster Gelegenheit ihre
Dienste anbieten wollen.
Einen von ihnen brauchen wir, denn wir
wollen heute Nachmittag zum berüchtigten Choeung Ek fahren, das 12km
außerhalb der Stadt liegt. Und so lernten wir Mr. Sow mit seinem
TukTuk kennen. Jeder Südostasienreisende kennt nur zu gut die
Situation, in der man mit Taxifahrern, Ticketverkäufern,
Hotelmanagern oder Obst verkaufenden Frauen in Verhandlungen tritt
und das Feilschen beginnt. Was am Anfang der Reise vielleicht noch
ungewohnt ist, wird im Laufe der Zeit immer mehr zur Routine. Manche
sind schnell genervt davon, dass man immer und überall den Preis
verhandeln muss, wenn man nicht als Ausländer das x-fache des
„normalen“ Entgelts zahlen will. Andere sehen darin eine
Herausforderung und versuchen ein Schnäppchen zu erzielen. Und bei
den meisten ist es einfach auch eine Frage des Reisebudgets, was man
zahlen kann und was nicht. Was allerdings nach unzähligen
Verhandlungen schnell keine Rolle mehr spielt, ist mit einem Lächeln
im Gesicht ein Bauchgefühl zu entwickeln, in welchen Situationen man
um jeden Dollar, Dong oder Kip feilschen sollte und in welchen nicht.
Der eine Dollar mehr, den man zahlt, bedeutet zwar vielleicht, dass
man sein Tagesbudget überschreitet, führt aber dazu, dass der
Andere nicht so sehr um sein spärliches Einkommen kämpfen muss und
man ein Stück Vertrauen gewinnt. Das deutliche Überangebot an
TukTuk-Fahrern in Phnom Penh führt dazu, dass viele über Tage keine
ausländische Kundschaft haben. Von unserem Hotelinhaber wussten wir,
dass für die 24km lange Fahrt und die zweistündige Wartezeit ein
Preis von 10 bis 13 $ angemessen war. Mit Mr. Sow vereinbarten wir
schnell 13 $ und gaben ihm nachher 15 $, obwohl er uns wahrscheinlich
auch für 10 $ gefahren hätte. Dafür wurde der stämmige und
gutmütige Kambodschaner unser Fahrer für die nächsten beiden Tage
und erzählte uns, dass er jeden Morgen bei Sonnenaufgang eine Stunde
Joggen geht, danach einer Gruppe von Kindern am Flussufer
Taekwondounterricht gibt und für den Rest des Tages TukTuk fährt.
Der Weg nach Choeung Ek führt auf
staubigen Pisten durch Vororte Phnom Penhs.
Die Bodenunebenheiten und
der aufgewirbelte Sand bescheren uns einen Hauch von Indien, während
wir im TukTuk hin und her geschleudert werden. Auffälligstes
Baumaterial der an uns vorbeiziehenden Häuser und Hütten ist
Wellblech. Die auffälligsten Werbetafeln preisen „Ganzberg“,
real German beer an. Noch nie davon gehört.
Das Choeung Ek Memorial liegt zwischen
friedlich wirkenden Feldern und einer beschaulichen
Obstgartenlandschaft. Es ist besser bekannt unter der Bezeichnung
„killing fields“, eines der zahlreichen Landstriche, in denen die
Roten Khmer ihren Massenmord am eigenen Volk begangen haben.
Während
Kambodscha in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts unter dem
Eindruck des sich immer mehr auf eigenen Boden vorschiebenden
Vietnamkriegs politisch führerlos wurde, gelang es dem überzeugten
Kommunisten und ehemaligen Lehrer Saloth Sar, bekannt als Pol Pot,
eine Guerillaorganisation mit dem Namen „Rote Khmer“ aufzubauen
und am 17. April 1975 die Macht in Kambodscha zu übernehmen. Der
neue Diktator und „Bruder Nr. 1“ begann vom ersten Tag seiner
Herrschaft an, seine radikale Idee umzusetzen, das ganze Land in
einen reinen kommunistischen Bauernstaat zu verwandeln. Die gesamte
Bevölkerung aus Phnom Penh und aus allen anderen größeren Städten
wurde gewaltsam aufs Land umgesiedelt und gezwungen, dort als
Kleinbauern tätig zu werden, egal welchen Beruf die Menschen vorher
nachgegangen sind. Städte sollten zugunsten des Landes verschwinden.
Wer sich den Anweisungen widersetzte oder einfach das Pech hatte, als
Intellektueller, weil man zum Beispiel eine Brille trug, Lehrer,
Schriftsteller oder Gebildeter zu gelten, wurde mit dem Tode
bestraft. Pol Pot und seine Roten Khmer schafften es in den kurzen
vier Jahren ihrer Schreckensherrschaft, bis zu drei Millionen der
insgesamt acht Millionen in Kambodscha lebenden Khmer umzubringen und
sich damit, relativ gesehen, an die Spitze der Liste der Massenmörder
des 20. Jahrhunderts zu katapultieren.
Choeung Ek ist die Stätte, wo die
Gefangenen des „Toul Sleng“ Gefängnisses auf brutalste Weise
umgebracht wurden. 1980 entdeckte man an dieser Stelle 86
Massengräber und eröffnete einige Jahre später die heutige
Gedenkstätte.
Das Memorial bietet einen bewegenden, bedrückenden
und informativen Rundgang über das Gelände und ist inklusive der
mehrsprachigen Audioguides sehr lehrreich und gut gemacht. Der Besuch
der Gedenkstätte ist sicher kein angenehmer Ausflug, aber für jeden
Reisenden in Kambodscha unbedingt zu empfehlen, um diese unfassbare
und junge Episode aus der Geschichte des Landes zu verstehen.
Auf dem Weg zurück ins Zentrum von
Phnom Penh können wir wie unser Loose-Reiseführer nur schwer
glauben, dass diese belebte und aufstrebende Hauptstadt vor nur einer
Generation komplett evakuiert und verlassen wurde. In Anbetracht der
Tatsache, dass nur etwa 30 Jahre seit der Herrschaft der Roten Khmer
vergangen sind, sieht man jeden älteren Kambodschaner auf der Straße
mit ganz anderen Augen.
Am Abend treffen wir uns mit Roel und
Leoni zum Essen und Sportschauen in einer Irish Bar. Da die beiden
wie wir von Phnom Penh nach Siem Reap weiterreisen möchten, buchen
wir zusammen die Busfahrt für den übernächsten Tag. Das Ticket
kostet 13 $ pro Person und die Busgesellschaft wirbt mit dem Slogan
„affordable luxury“ für einen eleganten klimatisierten Bus mit
WiFi, kostenlosen Getränken und sicheren Fahrern. Da mussten wir
natürlich zugreifen. Auf dem Weg ins Hotel wohnen wir am Flussufer
wieder einer der typisch asiatischen Outdoor-Aktivitäten bei: das
öffentliche Sporttreiben in der Gruppe. Man ist immer versucht,
selbst mitzumachen!
Der nächste Tag beginnt später als
erwartet. Der Grund: Niemand hat uns geweckt! Eine willkommene
Abwechslung. Nach dem Frühstück im Nordic Guesthouse wartet Mr. Sow
bereits auf uns. Auf dem Weg zum Völkermordmuseum Toul Sleng halten
wir am Komplex mit dem Königspalast und der Silberpagode. Phnom
Penhs Wahrzeichen wurde im traditionellen Khmer-Stil errichtet und
beeindruckt mit seiner prachtvollen Fassade. Die Anlage ist Ausdruck
davon, dass die Khmer in ihrer Blütezeit ein Riesenreich befehligten
und eine bedeutende Macht im südostasiatischen Raum waren.
Toul Sleng ist neben Choeung Ek der
zweite bekannte Ort in Phnom Penh, der des Genozids unter den Roten
Khmer gedenkt.
Es befindet sich in den Räumen einer
ehemaligen Schule. Hier betrieben die Khmer Rouge ihr berüchtigtes
Gefängnis S-21.
Mehr als 14.000 Menschen wurden in diesen
Räumlichkeiten inhaftiert, gefoltert und ermordet.
Das Gelände ist
heute ein Ort der Stille mitten im lauten Phnom Penh. Obwohl der
Rundgang im Vergleich zu Choeung Ek kaum Informationen bietet und es
keinen Audioguide gibt, vermitteln die leeren Zellen, die
Stacheldrahtabsicherung, die die Häftlinge am Selbstmord hindern
sollte, und die Folterkammern einen bedrückenden und schonungslosen
Einblick in die Abgründe menschlichen Handelns.
Auch der Besuch des
Völkermordmuseums hilft, das Kambodscha von heute besser zu
verstehen.
Fazit Tage 81 und 82:
„Oh Phnom Penh, during the three
years we were apart, I missed you and my heart suffered each and
every day...“ (Inoffizielle
Übersetzung einer Zeile aus dem Lied „Oh Phnom Penh“, das in
Choeung Ek gespielt wird.)
Was haben wir heute gelernt? Danke auf
Khmer heißt „ákun“ (ausgesprochen: „okun“).
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