Der zweite Tag in Saigon beginnt wie
der erste aufgehört hat: betäubend heiß. Sobald man aus dem
klimatisierten Hotel tritt, muss man seine Bewegungen verlangsamen
und sich von Schatten zu Schatten fortbewegen. Es scheint, dass wir
Ausländer die einzigen Verrückten sind, die sich zu Fuß durch den
Verkehr wühlen. Das hindert uns allerdings nicht daran, unseren
Stadtspaziergang fortzuführen.
Dafür gehen wir zum Hôtel de Ville,
dem ehemaligen Rathaus. Zwischen 1901 und 1908 errichtet ist das
weiße Gebäude mit dem roten Dach ein tolles Fotomotiv und ein
weiteres Wahrzeichen der Stadt. Heute residiert hier das Volkskomitee
und verbietet Touristen leider den Zutritt. Vor dem Rathaus steht
eine große Statue von Ho Chi Minh, die ihn mit einem kleinen Kind
zeigt.
Unsere nächste Station ist die Notre-Dame Kathedrale. Die
neoromanische Kirche wurde zwischen 1877 und 1883 gebaut, wobei das
Material aus Frankreich herangeschifft wurde.
Neben der Kathedrale
befindet sich das Hauptpostamt im französischen Stil nach einem
Entwurf von Gustave Eiffel errichtet. Vom Hauptpostamt laufen wir in
den Park des 30. April, der zum großen Wiedervereinigungspalast aus
den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts führt.
Der Palast war
während des Vietnamkrieges die Residenz des südvietnamesischen
Präsidenten und Schauplatz des symbolischen Ende des Krieges, als am
30. April 1975 ein nordvietnamesischer Panzer durch das Gittertor auf
das Gelände brach.
Hier beenden wir unseren Spaziergang und kühlen
uns bei einem Mittagessen und Eiskaffee in klimatisierter Umgebung
ab.
Am Nachmittag besuchen wir Chua Ngoc
Hoang, die Pagode des Jadekaisers.
Das vielleicht wichtigste
Heiligtum der Stadt ist in unserem Reiseführer als Gläubigen- und
Touristenmagnet beschrieben, wobei wir den Touristenscharen nicht
begegnet sind. In der Pagode werden taoistische, konfuzianische und
buddhistische Bildnisse verehrt. Sie wurde 1900 von Kanton-Chinesen
errichtet. Die Jadekaiserpagode ist unserer Meinung nach die
interessanteste und vielseitigste Pagode, die wir besucht haben.
Wenn
man das Gelände vor dem Tempel betritt, bemerkt man sofort eine eher
zweifelhafte Besonderheit dieses Heiligtums. Mehrere Frauen verkaufen
kleine Schildkröten an die Besucher. Geht man ein paar Schritte
weiter, versteht man warum. In einem kleinen Teich vor der Pagode
schwimmen und sonnen sich unzählige Artgenossen. Gläubige Chinesen
kaufen die Tiere, die ein Symbol für langes Leben sind, schreiben
ihren Namen auf den Panzer und setzen sie in dem Teich aus.
Betritt man die Pagode, passiert man
zunächst den Erdgott und Türgott und gelangt in den Vorraum, in dem
Shakyamuni, der historische Buddha verehrt wird. In der Haupthalle
steht der Namensgeber der Pagode, der von seinen vier Wächtern
beschützt wird. Der Jadekaiser, die höchste Gottheit des Taoismus
(eine chinesische Philosophie und Weltanschauung), gilt als Wächter
des Tors zum Himmel.
Um eingelassen zu werden, muss man ein Leben
voller Verdienste geführt haben. War dies nicht der Fall, kann man
gleich in die Halle links der Haupthalle gehen und sich dort die zehn
Höllen angucken, die als geschnitzte Holzbildnisse die verschiedenen
Bestrafungen darstellen. Die mit dem Duft von Räucherstäbchen
gefüllte Luft und die vor den Statuen eindringlich betenden
Gläubigen schaffen eine eindrucksvolle Atmosphäre. Wir können den
Besuch der Pagode weiterempfehlen.
Exkurs: Verkehr in Vietnam. 90 % der
Verkehrsteilnehmer sind hier nicht Autos, nicht Fußgänger, nicht
Fahrradfahrer, nicht Lastwagen und auch keine Schubkarren: sondern
Mopeds / Motorroller. Schätzungen zufolge gibt es 8 Mio. Exemplare
davon in dieser Stadt.
Sie bilden in den Straßen einen steten Strom
aus hupenden und wild durcheinander fahrenden motorisierten
Zweiräder. Ampeln sind nicht wie Ampeln, wie wir sie kennen. Ampeln
sind hier eher wie Empfehlungen zu verstehen. Ein rotes Licht
bedeutet, dass etwa 60-70 % der Mopeds auch anhalten, während der
Rest weiter über die Kreuzung fährt. Sollte mal die Kreuzung
verstopft sein, weil tatsächlich zu viele Mopeds an der roten Ampel
halten, kann man auch einfach auf den Bürgersteig fahren und hinter
der Ampel wieder auf die Kreuzung biegen. Fahrspuren gibt es keine,
es wird gefahren, wo gerade Platz ist. Wenn man sich in den Verkehr
einfädelt oder vom Straßenrand losfährt, dann guckt man auf keinen
Fall nach hinten. Man fährt einfach los, denn die von hinten
kommenden Mopeds müssen einfach laut hupend ausweichen. Und sollte
man links abbiegen müssen und die rechte Spur ist aber mit zu vielen
Verkehrsteilnehmern blockiert, dann fährt man eben die ersten
Hundert Meter auf der Gegenfahrbahn und wechselt auf die rechte Spur,
wenn sich endlich die Gelegenheit bietet. Besonders interessant wird
es, wenn Fußgänger, zumal wenn sie ausländische Touristen sind,
die Straße überqueren wollen. Der Verkehr hört nie auf, die Mopeds
halten niemals an. Das bedeutet, dass man lernen muss, einfach auf
die Straße zu treten und sich mit langsamen Schritten nach vorne zu
bewegen. Die heranbrausenden Mopeds teilen sich wie von Wunderhand
gelenkt vor einem und fahren rechts und links vorbei. Als Anfänger
ist es vielleicht leichter, Straßenüberquerungen mit geschlossenen
Augen zu machen. Um einen Eindruck davon zu vermitteln (und den Bitten aus der Heimat nachzukommen), haben wir ein
kleines Video von einer dieser Straßenüberquerungen gemacht und
hoffen, dass es die Situation einigermaßen realistisch verdeutlicht:
Am 19.3., unserem dritten Tag in
Saigon, haben wir eine Tour ins Umland gebucht. Unser Ziel sind die
sog. Cu Chi Tunnel. Dabei handelt es sich um ein Tunnelsystem etwa
25km nordwestlich von Saigon, das 220km lang ist und während der
Kriege gegen die Franzosen und vor allen Dingen gegen die Amerikaner
als Unterschlupf und Guerillakriegsschauplatz gedient hat. Über
Jahre haben Widerstandskämpfer und ihre Familien dort unter der Erde
gelebt und von dort aus gekämpft.
Wegen des günstigen Preises und der
organisierten Anreise buchen wir eine Tour bei einer Reiseagentur.
Die Abholung am frühen Morgen gerät allerdings zu einer kleinen
Odyssee. Wir steigen in den Bus, fahren dann weitere 30min scheinbar
ziellos durch unser Viertel, sammeln den einen oder anderen Gast ein,
nicht ohne noch weitere drei Mal an unserem Hotel vorbeizufahren. An
einem Sammelplatz lässt der Busfahrer unseren Reiseführer
aussteigen, der ohne etwas zu erklären verschwindet. Der Bus setzt
sich jedoch wieder in Bewegung und wir fahren eine weitere
Viertelstunde durch die dicht befahrene Stadt. In einer kleinen
Seitenstraße halten wir an und diesmal verschwindet unser Busfahrer.
Wir sehen ihn ein paar Schritte die Straße entlang laufen und dann
in einem kleinen Lokal erstmal etwas frühstücken. Zehn Minuten
später, und scheinbar gesättigt, kommt er wieder und wir fahren
zurück zur Sammelstelle. Dort taucht unser Reiseführer auf und gibt
uns zu verstehen, dass wir leider den Bus wechseln müssen. Unsere
schönen Plätze ganz vorne sind dahin und wir landen in einem bis
auf den letzten Sitzplatz gefüllten anderen Bus. Dafür geht jetzt
endlich die Fahrt zu den Tunneln los.
Die Fahrt dauert allerdings länger als
erwartet, da der Verkehr mittlerweile stark angeschwollen ist und wir
etwas außerhalb der Stadt noch drei weitere Touristen mit Koffern
einsammeln, die auf dem Beifahrersitz und zwei Notsitzen Platz
nehmen, während der Reiseführer für den restlichen Weg auf den
Koffern im Gang sitzen bleibt. Außerdem halten wir noch an einer
kleinen Steinwerkstatt in einem Industrievorort, in der wir nach
einer 120sekündigen Führung durch die Werkstatt in einen riesigen
Andenkenshop geführt werden.
Nach dem wir das Cu Chi-Tunnel Gelände
betreten haben, wird uns zu Beginn ein Propaganda Film aus dem
kommunistischen Nordvietnam von 1967 gezeigt.
Heroische Musik, die
das Leben im Dunkeln unter der Erde fröhlich untermalt, und lachende
Gesichter beim Bau von Waffen oder Anlegen von Dschungelfallen sollen
die Menschen im Süden dazu animieren, dem Guerillakrieg beizutreten.
Es wird die Intelligenz der Einheimischen gepriesen, mit einfachen
Mitteln effektive Tötungswerkzeuge herzustellen. Einen besonderen
Lob erhalten Kinder und Frauen, wenn sie es geschafft haben, mehrere
Soldaten des Feindes zu töten. Einseitige Geschichtsschreibung und
verfälschte Wiedergabe der Realitäten at its best.
Danach zeigt uns unser Reiseführer,
der einem kaum Informationen über den Vietnamkrieg geben kann, die
kleinen Tunneleingänge und erklärt, wie die Menschen bis zu 8m
unter der Erde gelebt haben. Die Tunnel waren Wohnungen, aber
gleichzeitig auch versteckte Angriffswege, um hinter die Linien der
feindlichen Truppen zu kommen und unerwartete Nadelstiche zu setzen.
Ausführlich werden die verschiedenen tödlichen Fallen dargestellt,
die sich die Widerstandskämpfer ausgedacht haben, um die Amerikaner
im Dschungel zu stoppen.
Von den Fallen geht es zu einem Schießstand,
an dem unser Reiseführer die Leute dazu ermuntert, selbst einmal mit
einer AK-47 zu schießen. Ein Schuss 5 $. Ein zweifelhaftes
Vergnügen, wenn man sich überlegt, was sich vor wenigen Jahrzehnten
an dieser Stelle abgespielt hat. Wer nicht schießen will, der darf
unter einem Höllenlärm nebenan an einem kleinen Kiosk eine Pause
machen. Bevor wir wieder in die Stadt zurückfahren, können wir uns
noch hautnah ein Bild vom Leben in den Tunneln machen. Wer keine
Platzangst hat (das trifft auf einen von uns beiden zu), der kriecht
unter der Erde einen bis zu 100m langen Gang entlang, der zwar
ziemlich eng ist, aber bereits für westliche Touristen etwas
vergrößert wurde.
Zurück in Saigon fragen wir uns, ob
das heute eigentlich ein mieser Ausflug war. Der Reiseführer war
nicht besonders sympathisch, dafür konnten wir günstig zu den
Tunneln kommen, die eigentlich ganz interessant sind. Leider ist die
Anlage nicht besonders informativ gestaltet und der Schießstand
scheint fehl am Platz. Wahrscheinlich ist so ein Tourausflug der
einfachste Weg, die Tunnel zu sehen.
Wir haben uns vom Busfahrer am
Kriegsrelikte Museum herausgelassen, das wir den Nachmittag
besichtigen wollen. Es ist das meistbesuchte Museum der Stadt und
bestimmt auch das aufwühlendste. Im Inneren verdeutlichen drastische
Bilder und Texte die Brutalität des Vietnamkrieges und insbesondere
die von den Amerikanern verrichteten Gräueltaten.
Der frühere Name
des Museums war „Museum der amerikanischen und chinesischen
Kriegsverbrechen“, wurde jedoch geändert, um mehr Besucher
anzulocken. Leider ist die Ausstellung immer noch sehr einseitig,
Gewalttaten der nordvietnamesischen Armee und des Vietcong werden
überhaupt nicht erwähnt. Trotzdem lohnt sich unserer Meinung der
Besuch, der uns tief bewegt hat und den einen oder anderen auch
verstört zurücklässt. Das Ausmaß der unmenschlichen Kriegsführung
der Amerikaner, der Einsatz von Napalm, Folter oder Agent Orange, ist
erschütternd.
Der nächste Tag ist der 20.03. und
unser letzter vor der Abreise aus Saigon. Wir schlafen uns mal wieder
aus und verbringen die brütende Mittagshitze in einer wohl
klimatisierten Bäckerei. Der Erfinder von Klimaanlagen muss ein
reicher Mann sein. Wir haben die Bäckerei aus einem ganz bestimmten
Grund aufgesucht: Es soll hier deutsches Brot geben! Die Auswahl ist
zwar nicht besonders groß, aber wir finden trotzdem ein
Roggen-Vollkorn-Brötchen. Obwohl es eher die Größe eines Laib
Brots hat, lässt sich Christina das ganze Stück zum Frühstück
belegen.
Heute steht nicht viel auf dem
Programm. Zunächst fahren wir mit einem Taxi ins chinesische Zentrum
von Saigon, Cho Lon.
Es gibt einen großen Markt und viele Pagoden.
Mehr als eine halbe Million chinesische Auswanderer leben hier.
Entsprechend voll und hektisch geht es zwischen den vielen Geschäften
und Händlern zu. Das Viertel ist lebendig, was aber auch bedeutet,
dass es dreckig, laut und anstrengend ist. Besonders bei dem heißen
Wetter.
Aus diesem Grund haben wir uns für den
Abend ein entspanntes Kontrastprogramm ausgedacht. Es geht nämlich
an die Sheraton Roof Top Bar im 23. Stock, wo man die vielleicht
beste Aussicht auf Saigon genießen kann.
Der Eintritt ist kostenlos,
der Blick fantastisch und die Preise für Getränke und sehr leckere
Snacks teuer, aber noch bezahlbar. Außerdem weht einem ein angenehm
kühler Wind ins Gesicht. Von hier oben können wir uns wunderbar von
dieser quirligen Metropole im Süden Vietnams verabschieden.
Morgen
verlassen wir die Stadt und fahren ins Mekong-Delta. Obwohl
mehrtägige Bustouren oft anstrengend und nicht sehr individuell
sind, haben wir eine Dreitagestour ins Delta bei einer Reiseagentur
gebucht. Es ist die mit Abstand günstigste Option die Mündung des
Mekongs zu besichtigen. Und mit nicht allzu hohen Erwartungen kann so
eine Tour ja ganz interessant werden. Hoffen wir bloß, dass wir
nicht den Reiseführer von den Cu Chi-Tunneln bekommen.
Fazit Tage 75, 76 und 77:
Kann mal bitte jemand den Fön
ausstellen?!
Was haben wir heute gelernt:
Ho-Chi-Minh-Stadt ist seit 1975 die offizielle Bezeichnung für den
gesamten Großraum Saigons. Sie hat 17 Distrikte, wobei Distrikt 1
die Innenstadt umfasst und offiziell weiter den Namen Saigon trägt.
Daher rührt wohl auch der Umstand, dass man heute noch regelmäßig
auf beide Namen trifft.
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