Samstag, 9. März 2013

Hanoi - Tage 1, 2 und 3


Man könnte leicht auf den Gedanken kommen, dass wenn man über Wochen auf Reisen ist, schon einige Länder durchfahren hat und bereits längere Zeit in derselben Region ist, das nächste Land einen nicht mehr überraschen kann oder man schon alles gesehen hat. Weit gefehlt. Vietnam gelingt es, uns mit einer eigenen Identität wieder aufs Neue zu verblüffen. 


Vieles erinnert an Indien, ohne dem jedoch wirklich nahe zu kommen. Die Millionenmetropole Hanoi präsentiert sich uns als Wirrwarr von Menschen, Mopeds und Verkehr. Sind uns schon die vielen Motorroller in Thailand aufgefallen, so müssen wir das relativieren und es als bloßen Vorgeschmack auf die Zweiradmassen hier in Vietnam bezeichnen. Dabei geht mit dem dichten Verkehr und den Motorrädern vor allen Dingen eins einher: wildes Hupen. Es kann unterschiedliche Bedeutungen haben: Geh´ mir aus dem Weg! Ich überhole! Ich werde überholt! Vorsicht, Gegenverkehr! Ich nähere mich einer nicht einsehbaren Kreuzung! Ich nähere mich einem Kreisel! Ich fahre auf den Bürgersteig! Willst du mitfahren?


Unser Hotel liegt in der Altstadt. Das Viertel hat auch die Bezeichnung „die 36 Straßen“ abbekommen, da wohl früher etwa so viele Handwerkskünste hier zu finden waren. Handwerker der gleichen Zunft fanden sich alle nebeneinander in derselben Straße. Die Straßen wurden deshalb nach der jeweiligen Handwerksart benannt. Noch heute finden sich Straßen, in denen sich Schuh- an Schuhgeschäft, Textil- an Textilgeschäft oder Korb- an Korbgeschäft reiht. Was ein Vergleichsparadies für den Verbraucher. Zwischen den Geschäften sprießen Hotels, teure Cafés und günstige Restaurants hervor.


Laut Reiseführer durchströmt eine halbe Million Menschen täglich die Altstadt. 



Allerdings müssen sich fast alle diese Menschen ihren Weg auf der Straße durch den dichten Verkehr bahnen, denn die durchaus vorhandenen Bürgersteige dienen als Parkplätze für, wie sollte es auch anders sein, die Motorroller. 


Nur in der Nacht werden die Bürgersteige wieder freigegeben, wenn die motorisierten Zweiräder aus Angst vor Diebstählen in die kleinen Wohnungen geschoben werden und dort neben dem Bett ihres Eigentümers ruhen. Wer es schafft, die Gehsteige zu umgehen und auf der Straße vorwärts zu kommen, der muss nur noch den aufdringlichen Avancen der Gebäck-Verkäuferinnen widerstehen und den Schmutzwasserfontänen ausweichen. Letztere stammen nämlich von den Geschirrwäschen der Plastikstuhllokale, die sich ebenfalls am Straßenrand befinden und deren Abwässer ohne zeitraubende Umwege auf den Straßen entleert werden.

Wir besichtigen den Hoan Kiem-See, der südlich der Altstadt liegt. Er wird als Seele der Stadt bezeichnet und erinnert uns ein wenig an unsere gute alte Alster, auch wenn die Jogging-Runde hier etwas kürzer ausfällt. 


Von dort laufen wir zum Dong Xuan-Markt. Er ist der größte überdachte Marktplatz Hanois. An den vielen Ständen kann man Textilien, Schuhe, Koffer, Rucksäcke, Taschen oder Souvenirs kaufen. 


Davor gibt es Händler, die frisches Gemüse und Obst, Fleisch und Fisch anbieten. Von hier geht es wieder zurück in unser Hotel. Wir hatten genug Sightseeing für den ersten Tag, zumal man sich aus Laos kommend erst langsam wieder an so viel Trubel gewöhnt. Außerdem haben wir eine schöne zentral gelegene Unterkunft mit wirklich freundlichen Hotelmitarbeitern, die einem im Vorbeigehen schon mal eine geschälte Ananas schenken.


Am nächsten Tag, der vietnamesische gesetzliche Feiertag des Weltfrauentags wohlgemerkt, sehen wir uns ein restauriertes Handwerkshaus und eine Aufführung des berühmten Wasserpuppentheaters an. Das Haus liegt in der Ma May 87 und wurde im späten 19. Jahrhundert gebaut. Innen kann man Beispiele der Künste aus der Zeit des alten Hanois besichtigen. 


Interessant ist es aber vor allem wegen seines typisch schmalen langgezogenen Grundrisses. Fast alle Grundstücke in Vietnam sehen aus wie gestreckte Rechtecke, vielleicht 3m breit und bis zu 50m lang. Es war verboten, höher als die Gebäude in der Zitadelle zu bauen, also baute man nach hinten. So entstanden die sog. Röhrenhäuser. Eine Handwerksfamilie hatte dann vorne an der Straße den Laden, dahinter die Werkstatt, ein kleiner Innenhof, die Wohn- und danach die Sanitärräume. Was früher für eine Familie ein einfaches aber schönes zu Hause war, dient heute vor dem Hintergrund höherer Mietpreise und steigender Bevölkerungszahlen als Behausung für mehrere Familien. Der Lebensraum eines Altstadtbewohners beträgt etwa 0,9 qm, die Toilette muss mit bis zu 30 Nachbarn geteilt werden.

Das Wasserpuppentheater liegt direkt am Hoan Kiem-See. Diese Kunstform gibt es nur in Vietnam und stammt mindestens aus dem 11. Jahrhundert. Die Aufführung wird von einem Orchester begleitet, das Musik spielt und den Puppen Stimmen verleiht und sich neben dem Wasserbecken befindet. Im Becken hinter einem Vorhang stehen die Puppenspieler, die mit 4m langen Stangen die Wasserpuppen bedienen. 


Die 50minütige Vorstellung zeigt wie das vietnamesische Volk aus der legendären Ehe des Drachenkönigs mit einer Fee entstand, wie die Landbevölkerung Reis angebaut, Fisch gefangen und sich gegen wilde Tiere zur Wehr gesetzt hat und welche mystischen Tänze es in der vietnamesischen Kultur gibt. Wir finden, ein Besuch lohnt sich. Das Ticket kostet 100.000 Dong pro Person.

Nach der Vorstellung lassen wir uns auf einer Parkbank am See nieder und beobachten das Treiben der Menschen. 


Und genau hier widerfährt uns, was schon anderen Touristen passiert ist: Ein vietnamesisches Pärchen spricht uns an und er fragt schüchtern, ob wir uns denn nicht mit ihr ein wenig auf Englisch unterhalten wollen! „She would like to practice her English with foreigners.“ Gar keine so ungewöhnliche Anfrage, wie wir später erkennen. Vietnamesische Studenten kommen häufig tagsüber an den See, um im Gespräch mit den vielen ausländischen Touristen ihr Englisch zu verbessern. Ganz schön fleißig diese Asiaten. Und so unterhalten wir uns mit „Huyen“ und erfahren, dass sie BWL studiert, ihr Name „erfolgreich“ bedeutet und sie deutschen Fußball toll findet. Es entwickelt sich ein interessantes Gespräch über Hobbys, kulturelle Unterschiede und unsere weitere Reiseplanung. Nach zehn Minuten müssen die beiden los und verabschieden sich. Wir sind noch ganz erstaunt über unsere neue Rolle als Englischlehrer als wir von der nächsten Gruppe von Studenten angesprochen werden. Ja, etwas Zeit haben wir noch. Diesmal entwickelt sich das Gespräch ziemlich schnell zu einer bloßen Englischübung. Der eine Vietnamese erzählt uns, dass er Englisch mit Hilfe des Internets lernt und zeigt uns stolz ein Heft, in dem er 365 englische Sätze aufgeschrieben hat, die er von nun an übt. In der Schule würde zwar Englisch unterrichtet, aber es wird überhaupt nicht gesprochen. Man lerne nur die Grammatik und die Wörter, spreche jedoch Vietnamesisch. Und so hat er jetzt endlich die Gelegenheit einmal die wirklich wichtigen Dinge auf Englisch zu fragen. „Do you know Brad Pitt?“ „Yes, I do.“ „He is an American actor and producer of films!“ Soso. Deutlich interessanter wird es, als wir erfahren, dass sie allesamt gerne Hund und Ratte essen. Bevor wir gehen wollen wir noch wissen, was sie an Hanoi am schönsten finden. Einstimmige Antwort: das Ho-Chi-Minh-Mausoleum. Na, davon müssen wir uns morgen selbst überzeugen.

Am 9.3. geht es für uns daher zur letzten Ruhestätte des ehemaligen vietnamesischen Präsidenten. Der riesige Granitklotz weist Ähnlichkeiten mit Lenins Mausoleum in Moskau auf. 


Für die Vietnamesen ist es wahrscheinlich das wichtigste Denkmal in Vietnam und nicht wenige sind zutiefst bewegt, wenn sie im Inneren einen kurzen Blick auf den Leib erhaschen. Damit das auch noch in Zukunft so bleibt, reist Ho Chi Minh jedes Jahr von September bis Dezember nach Russland, wo ihm die Balsamierer eine Frischkur verpassen. Als der Revolutionsführer noch lebte, hatte er jedoch ganz andere Vorstellungen was mit seinem Körper nach seinem Tod passieren sollte. Er wollte verbrannt werden und seine Asche in drei Urnen in Nord-, Süd- und Zentralvietnam begraben lassen. Der kommunistischen Führung passte das jedoch nicht. Sie hielt das Testament nach Ho Chi Minhs Ableben zunächst verschlossen und ließ ihn einbalsamieren.

Während wir diese Geschichte lesen und vor dem mit marschierenden Soldaten bewachten Mausoleum sitzen, bemerken wir unter den vielen Touristen ein deutsches Ehepaar, das sich dem Komplex nähert. Der Mann kommt uns irgendwie bekannt vor. Unter dem Vorwand ein Foto von uns zu machen, sprechen wir sie an und tatsächlich schrumpft die große weite Welt auf beschauliche Größe zusammen: Am Rande eines anderen Kontinents in Vietnams Hauptstadt Hanoi treffen wir durch Zufall auf Herrn Jost und seine Frau, unseren ehemaligen stellvertretenden Direktor der Jakob-Grimm-Schule unserer 14.000-Seelen Heimatstadt. Die Überraschung ist ganz beiderseits.

Nach dieser unerwarteten Begegnung geht es zum Literaturtempel, unserem letzten Besichtigungspunkt in dieser Stadt. 


Der Literaturtempel ist ein konfuzianischer Anlagenkomplex und einer der wichtigsten und bekanntesten Tempel des Landes. Er war zudem Hanois erste Universität. Die wirklich schöne Anlage soll laut Reiseführer eine Oase der Ruhe und Beschaulichkeit inmitten des Großstadttrubels sein, in der Dichter, Maler und Zeichner zur Ruhe kommen. 


Er hat leider vergessen zu erwähnen, dass dies nicht gilt, wenn zahlreiche vietnamesische Schulklassen und chinesische Touristen in die Anlage schwärmen.


Unsere drei Tage in der vietnamesischen Hauptstadt waren damit fast zu Ende. Heute Abend um 19:30 Uhr nehmen wir den Nachtzug in den Süden nach Hue. 14 ½ Stunden später wollen wir an unserem Zielort wieder aussteigen. Wir haben gehört, dass es im Zug kostenlos heißes Wasser gibt, also decken wir uns im Supermarkt noch mit Fertigsuppen für die Fahrt ein. Nach einem herzlichen Abschied im Hotel bringt uns ein Taxi durch dichten und verrückten Verkehr zum Bahnhof. Mal sehen, wie viel Schlaf die Nacht bereit hält...


Fazit Tage 64, 65 und 66:

Warum hupt denn hier ständig jemand?


Was haben wir heute gelernt? Danke auf Vietnamesisch heißt „cm o'n“. Ausgesprochen wie ein gepresstes englisches „come on“.


3 Kommentare:

  1. Hey ihr beiden,
    endlich koennen wir dank Wifi wieder an eurer Reise teilhaben und eifrig eure Berichte studieren!
    Achja, das "Mitziehen" hast Du vortrefflich hinbekommen, Christina :-)
    Viele Gruesse aus Adelaide und weiterhin viel Spass und interessante Erlebnisse und Abenteuer,
    Wir vermissen euch!
    Jan und Lena

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  2. Walter, bist du aber groß geworden ;), wie man auf dem Foto sieht. Schon cool die Asiaten, was Englisch lernen angeht. Kannst du z.B Philipp od. Julia vorstellen, die so Englich üben?! ;? liebe Grüße aus Wü.

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    1. Naja, vielleicht sollte man sie eine Zeit lang in Hanoi aussetzen und schauen, was passiert ;)

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