Man könnte leicht auf den Gedanken
kommen, dass wenn man über Wochen auf Reisen ist, schon einige
Länder durchfahren hat und bereits längere Zeit in derselben Region
ist, das nächste Land einen nicht mehr überraschen kann oder man
schon alles gesehen hat. Weit gefehlt. Vietnam gelingt es, uns mit
einer eigenen Identität wieder aufs Neue zu verblüffen.
Vieles
erinnert an Indien, ohne dem jedoch wirklich nahe zu kommen. Die
Millionenmetropole Hanoi präsentiert sich uns als Wirrwarr von
Menschen, Mopeds und Verkehr. Sind uns schon die vielen Motorroller
in Thailand aufgefallen, so müssen wir das relativieren und es als
bloßen Vorgeschmack auf die Zweiradmassen hier in Vietnam
bezeichnen. Dabei geht mit dem dichten Verkehr und den Motorrädern
vor allen Dingen eins einher: wildes Hupen. Es kann unterschiedliche
Bedeutungen haben: Geh´ mir aus dem Weg! Ich überhole! Ich werde
überholt! Vorsicht, Gegenverkehr! Ich nähere mich einer nicht
einsehbaren Kreuzung! Ich nähere mich einem Kreisel! Ich fahre auf
den Bürgersteig! Willst du mitfahren?
Unser Hotel liegt in der Altstadt. Das
Viertel hat auch die Bezeichnung „die 36 Straßen“ abbekommen, da
wohl früher etwa so viele Handwerkskünste hier zu finden waren.
Handwerker der gleichen Zunft fanden sich alle nebeneinander in
derselben Straße. Die Straßen wurden deshalb nach der jeweiligen
Handwerksart benannt. Noch heute finden sich Straßen, in denen sich
Schuh- an Schuhgeschäft, Textil- an Textilgeschäft oder Korb- an
Korbgeschäft reiht. Was ein Vergleichsparadies für den Verbraucher.
Zwischen den Geschäften sprießen Hotels, teure Cafés und günstige
Restaurants hervor.
Laut Reiseführer durchströmt eine halbe Million
Menschen täglich die Altstadt.
Allerdings müssen sich fast alle
diese Menschen ihren Weg auf der Straße durch den dichten Verkehr
bahnen, denn die durchaus vorhandenen Bürgersteige dienen als
Parkplätze für, wie sollte es auch anders sein, die Motorroller.
Nur in der Nacht werden die Bürgersteige wieder freigegeben, wenn
die motorisierten Zweiräder aus Angst vor Diebstählen in die
kleinen Wohnungen geschoben werden und dort neben dem Bett ihres
Eigentümers ruhen. Wer es schafft, die Gehsteige zu umgehen und auf
der Straße vorwärts zu kommen, der muss nur noch den aufdringlichen
Avancen der Gebäck-Verkäuferinnen widerstehen und den
Schmutzwasserfontänen ausweichen. Letztere stammen nämlich von den
Geschirrwäschen der Plastikstuhllokale, die sich ebenfalls am
Straßenrand befinden und deren Abwässer ohne zeitraubende Umwege
auf den Straßen entleert werden.
Wir besichtigen den Hoan Kiem-See, der
südlich der Altstadt liegt. Er wird als Seele der Stadt bezeichnet
und erinnert uns ein wenig an unsere gute alte Alster, auch wenn die
Jogging-Runde hier etwas kürzer ausfällt.
Von dort laufen wir zum
Dong Xuan-Markt. Er ist der größte überdachte Marktplatz Hanois.
An den vielen Ständen kann man Textilien, Schuhe, Koffer, Rucksäcke,
Taschen oder Souvenirs kaufen.
Davor gibt es Händler, die frisches
Gemüse und Obst, Fleisch und Fisch anbieten. Von hier geht es wieder
zurück in unser Hotel. Wir hatten genug Sightseeing für den ersten
Tag, zumal man sich aus Laos kommend erst langsam wieder an so viel
Trubel gewöhnt. Außerdem haben wir eine schöne zentral gelegene
Unterkunft mit wirklich freundlichen Hotelmitarbeitern, die einem im
Vorbeigehen schon mal eine geschälte Ananas schenken.
Am nächsten Tag, der vietnamesische
gesetzliche Feiertag des Weltfrauentags wohlgemerkt, sehen wir uns
ein restauriertes Handwerkshaus und eine Aufführung des berühmten
Wasserpuppentheaters an. Das Haus liegt in der Ma May 87 und wurde im
späten 19. Jahrhundert gebaut. Innen kann man Beispiele der Künste
aus der Zeit des alten Hanois besichtigen.
Interessant ist es aber
vor allem wegen seines typisch schmalen langgezogenen Grundrisses.
Fast alle Grundstücke in Vietnam sehen aus wie gestreckte Rechtecke,
vielleicht 3m breit und bis zu 50m lang. Es war verboten, höher als
die Gebäude in der Zitadelle zu bauen, also baute man nach hinten.
So entstanden die sog. Röhrenhäuser. Eine Handwerksfamilie hatte
dann vorne an der Straße den Laden, dahinter die Werkstatt, ein
kleiner Innenhof, die Wohn- und danach die Sanitärräume. Was früher
für eine Familie ein einfaches aber schönes zu Hause war, dient
heute vor dem Hintergrund höherer Mietpreise und steigender
Bevölkerungszahlen als Behausung für mehrere Familien. Der
Lebensraum eines Altstadtbewohners beträgt etwa 0,9 qm, die Toilette
muss mit bis zu 30 Nachbarn geteilt werden.
Das Wasserpuppentheater liegt direkt am
Hoan Kiem-See. Diese Kunstform gibt es nur in Vietnam und stammt
mindestens aus dem 11. Jahrhundert. Die Aufführung wird von einem
Orchester begleitet, das Musik spielt und den Puppen Stimmen verleiht
und sich neben dem Wasserbecken befindet. Im Becken hinter einem
Vorhang stehen die Puppenspieler, die mit 4m langen Stangen die
Wasserpuppen bedienen.
Die 50minütige Vorstellung zeigt wie das
vietnamesische Volk aus der legendären Ehe des Drachenkönigs mit
einer Fee entstand, wie die Landbevölkerung Reis angebaut, Fisch
gefangen und sich gegen wilde Tiere zur Wehr gesetzt hat und welche
mystischen Tänze es in der vietnamesischen Kultur gibt. Wir finden,
ein Besuch lohnt sich. Das Ticket kostet 100.000 Dong pro Person.
Nach der Vorstellung lassen wir uns auf
einer Parkbank am See nieder und beobachten das Treiben der Menschen.
Und genau hier widerfährt uns, was schon anderen Touristen passiert
ist: Ein vietnamesisches Pärchen spricht uns an und er fragt
schüchtern, ob wir uns denn nicht mit ihr ein wenig auf Englisch
unterhalten wollen! „She would like to practice her English with
foreigners.“ Gar keine so ungewöhnliche Anfrage, wie wir später
erkennen. Vietnamesische Studenten kommen häufig tagsüber an den
See, um im Gespräch mit den vielen ausländischen Touristen ihr
Englisch zu verbessern. Ganz schön fleißig diese Asiaten. Und so
unterhalten wir uns mit „Huyen“ und erfahren, dass sie BWL
studiert, ihr Name „erfolgreich“ bedeutet und sie deutschen
Fußball toll findet. Es entwickelt sich ein interessantes Gespräch
über Hobbys, kulturelle Unterschiede und unsere weitere
Reiseplanung. Nach zehn Minuten müssen die beiden los und
verabschieden sich. Wir sind noch ganz erstaunt über unsere neue
Rolle als Englischlehrer als wir von der nächsten Gruppe von
Studenten angesprochen werden. Ja, etwas Zeit haben wir noch. Diesmal
entwickelt sich das Gespräch ziemlich schnell zu einer bloßen
Englischübung. Der eine Vietnamese erzählt uns, dass er Englisch
mit Hilfe des Internets lernt und zeigt uns stolz ein Heft, in dem er
365 englische Sätze aufgeschrieben hat, die er von nun an übt. In
der Schule würde zwar Englisch unterrichtet, aber es wird überhaupt
nicht gesprochen. Man lerne nur die Grammatik und die Wörter,
spreche jedoch Vietnamesisch. Und so hat er jetzt endlich die
Gelegenheit einmal die wirklich wichtigen Dinge auf Englisch zu
fragen. „Do you know Brad Pitt?“ „Yes, I do.“ „He is an
American actor and producer of films!“ Soso. Deutlich interessanter
wird es, als wir erfahren, dass sie allesamt gerne Hund und Ratte
essen. Bevor wir gehen wollen wir noch wissen, was sie an Hanoi am
schönsten finden. Einstimmige Antwort: das Ho-Chi-Minh-Mausoleum.
Na, davon müssen wir uns morgen selbst überzeugen.
Am 9.3. geht es für uns daher zur
letzten Ruhestätte des ehemaligen vietnamesischen Präsidenten. Der
riesige Granitklotz weist Ähnlichkeiten mit Lenins Mausoleum in
Moskau auf.
Für die Vietnamesen ist es wahrscheinlich das wichtigste
Denkmal in Vietnam und nicht wenige sind zutiefst bewegt, wenn sie im
Inneren einen kurzen Blick auf den Leib erhaschen. Damit das auch
noch in Zukunft so bleibt, reist Ho Chi Minh jedes Jahr von September
bis Dezember nach Russland, wo ihm die Balsamierer eine Frischkur
verpassen. Als der Revolutionsführer noch lebte, hatte er jedoch
ganz andere Vorstellungen was mit seinem Körper nach seinem Tod
passieren sollte. Er wollte verbrannt werden und seine Asche in drei
Urnen in Nord-, Süd- und Zentralvietnam begraben lassen. Der
kommunistischen Führung passte das jedoch nicht. Sie hielt das
Testament nach Ho Chi Minhs Ableben zunächst verschlossen und ließ
ihn einbalsamieren.
Während wir diese Geschichte lesen und
vor dem mit marschierenden Soldaten bewachten Mausoleum sitzen,
bemerken wir unter den vielen Touristen ein deutsches Ehepaar, das
sich dem Komplex nähert. Der Mann kommt uns irgendwie bekannt vor.
Unter dem Vorwand ein Foto von uns zu machen, sprechen wir sie an und
tatsächlich schrumpft die große weite Welt auf beschauliche Größe
zusammen: Am Rande eines anderen Kontinents in Vietnams Hauptstadt
Hanoi treffen wir durch Zufall auf Herrn Jost und seine Frau, unseren
ehemaligen stellvertretenden Direktor der Jakob-Grimm-Schule unserer
14.000-Seelen Heimatstadt. Die Überraschung ist ganz beiderseits.
Nach dieser unerwarteten Begegnung geht
es zum Literaturtempel, unserem letzten Besichtigungspunkt in dieser
Stadt.
Der Literaturtempel ist ein konfuzianischer Anlagenkomplex und
einer der wichtigsten und bekanntesten Tempel des Landes. Er war
zudem Hanois erste Universität. Die wirklich schöne Anlage soll
laut Reiseführer eine Oase der Ruhe und Beschaulichkeit inmitten des
Großstadttrubels sein, in der Dichter, Maler und Zeichner zur Ruhe
kommen.
Er hat leider vergessen zu erwähnen, dass dies nicht gilt,
wenn zahlreiche vietnamesische Schulklassen und chinesische Touristen
in die Anlage schwärmen.
Unsere drei Tage in der vietnamesischen
Hauptstadt waren damit fast zu Ende. Heute Abend um 19:30 Uhr nehmen
wir den Nachtzug in den Süden nach Hue. 14 ½ Stunden später wollen
wir an unserem Zielort wieder aussteigen. Wir haben gehört, dass es
im Zug kostenlos heißes Wasser gibt, also decken wir uns im
Supermarkt noch mit Fertigsuppen für die Fahrt ein. Nach einem
herzlichen Abschied im Hotel bringt uns ein Taxi durch dichten und
verrückten Verkehr zum Bahnhof. Mal sehen, wie viel Schlaf die Nacht
bereit hält...
Fazit Tage 64, 65 und 66:
Warum hupt denn hier ständig jemand?
Was haben wir heute gelernt? Danke auf
Vietnamesisch heißt „cảm
o'n“. Ausgesprochen wie ein gepresstes englisches „come on“.
Hey ihr beiden,
AntwortenLöschenendlich koennen wir dank Wifi wieder an eurer Reise teilhaben und eifrig eure Berichte studieren!
Achja, das "Mitziehen" hast Du vortrefflich hinbekommen, Christina :-)
Viele Gruesse aus Adelaide und weiterhin viel Spass und interessante Erlebnisse und Abenteuer,
Wir vermissen euch!
Jan und Lena
Walter, bist du aber groß geworden ;), wie man auf dem Foto sieht. Schon cool die Asiaten, was Englisch lernen angeht. Kannst du z.B Philipp od. Julia vorstellen, die so Englich üben?! ;? liebe Grüße aus Wü.
AntwortenLöschenNaja, vielleicht sollte man sie eine Zeit lang in Hanoi aussetzen und schauen, was passiert ;)
Löschen