Los Angeles nach Phoenix nach Detroit.
Nach einem weiteren typischen
Motelfrühstück geht es zum Flughafen und wir geben unseren guten
Jeep Patriot ab. Beim Einchecken müssen wir erneut um gemeinsame
Sitzplätze kämpfen. Wie schon bei United bestand bei US Airways
beim Onlinecheck-in am Vortag nicht die Möglichkeit, zwei Plätze
nebeneinander auszuwählen. Vorausgesetzt man will keinen Aufpreis
bezahlen. Bei der Gepäckabgabe und auch später am Schalter kann uns
nicht geholfen werden, wir müssen im Flugzeug fragen, ob sich jemand
umsetzen möchte. Später erfahren wir dann, dass es auch kein Essen,
keine Unterhaltung und keine Fluginfos geben wird. Wir können
festhalten, dass sich unsere Begeisterung über die amerikanischen
Airlines in Grenzen hält.
Wir landen im weit über 40 Grad heißen
Phoenix und sind froh, dass die Maschinen bei den Rekordtemperaturen
der letzten Tage immer noch starten und landen können. Von Phoenix
sind es dann noch fast vier Stunden, bis unser Anschlussflug von US
Airways am frühen Abend in Detroit landet. Für Walter ist es
natürlich ein besonderes Gefühl wieder an dem Ort zu sein, der vor
einem Jahrzehnt ein Jahr lang sein zu Hause war.
Am Flughafen holen wir dann unser
achtes und letztes Auto der Weltreise ab: ein Toyota RAV4 Limited
Edition. Mit dem fahren wir durch ein warmes aber verregnetes
Michigan ins Redford Township. Redford grenzt mit seinen 50.000
Einwohnern an das berüchtigte Detroit. Als Vorort erlebte es den
Niedergang der einstigen Automobilhauptstadt hautnah mit und konnte
sich gleichzeitig dem Sog des Zusammenbruchs nicht komplett
entziehen. Aber Vorort bleibt Vorort. Es machte und macht also immer
noch einen gewaltigen Unterschied, ob man östlich der Telegraph Road
irgendwo zwischen 5 Mile und 8 Mile Road und damit laut
Kriminalitätsstatistik in einer der gefährlichsten Städte der USA
oder ob man in einem Township wie Redford mit einer signifikant
anderen Bevölkerungsstruktur und -mentalität wohnt.
Hat man die
Gelegenheit für eine längere Zeit in der einzigen weißen Familie
der Straße zwischen besagter 5 Mile und 6 Mile Road zu wohnen aber
in einem Vorort zur Schule zu gehen, bekommt man einen Eindruck
davon, mit welchen Vorurteilen und Schuldzuweisungen die Bewohner der
Innenstadt konfrontiert werden, während sie mit
existenzvernichtenden Problemen wie schlechter Schulausbildung, hoher
Arbeitslosigkeit, sinkenden städtischen Steuereinnahmen und weit
verbreiteter Drogenkriminalität alleine zu kämpfen haben.
Während wir durch das nächtliche
Redford fahren, sehen wir, dass sich das äußere Erscheinungsbild in
den letzten zehn Jahren verändert hat. Was aber immer noch gleich
geblieben ist, ist die außergewöhnliche Gastfreundschaft und
Herzlichkeit der Menschen, die hier leben. Wir werden von Kenn,
Walters Freund aus Highschool-Zeiten, in seinem zu Hause empfangen
und dürfen uns für die nächste Woche in einem eigens für uns
hergerichteten Gästezimmer einquartieren. Welch' eine Freude, für
eine Weile nicht in einem Hotelzimmer schlafen zu müssen und die
Rucksäcke für eine Woche in der Ecke liegen lassen zu dürfen.
Die nächsten Tage genießen wir es,
das erste Mal auf der Reise bei bekannten Gesichtern zu sein und
wieder so etwas wie eine tägliche Routine zu haben. Nach den
anstrengenden letzten sechs Wochen im amerikanischen Südwesten und
den insgesamt über 180 Reisetagen schalten wir ein paar Gänge
herunter. Während Kenn tagsüber arbeitet, schlafen wir uns aus,
frühstücken bei Tim Hortons (die Amerikaner mögen es verzeihen,
aber Kanada ist nicht weit und die Donuts sind lecker!), schreiben
Blogbeiträge bzw. bearbeiten Bilder und erkunden die Nachbarschaft.
Der Eindruck des ersten Abends scheint
sich dabei zu bestätigen. Die ganze Metropolregion Detroit leidet
unter dem Bedeutungsverlust der Stadt und dem Wegfall der
Arbeitsplätze. Die oben beschriebenen Probleme der Innenstadt
scheinen über die unsichtbare Grenze der Telegraph Road in die
ersten Straßenzüge des Townships zu schwappen. Aber am
auffälligsten ist, dass dieser Entwicklung eine Angstmentalität der
Menschen vorausgeht, die die Realität schlechter macht als sie ist
und damit dem Wegzug vieler Einwohner Vorschub leistet, anstatt dass
versucht wird, positive Gegenmaßnahmen anzustoßen. Symptomatisch
sind die Aussagen einer Frisöse, die ein paar Vororte weiter vom
Zentrum entfernt wohnt und in der Parallelstraße zu Kenns Haus
arbeitet, in einer Gegend also, in der wir uns absolut sicher gefühlt
haben. Ungefragt erzählt sie bei einem Frisörbesuch, dass ihre
Freunde sie ständig fragen würden, ob sie nicht Angst hätte, hier
zuweilen alleine zu arbeiten. Sie entgegne dem immer nur, dass sie
das schon überstehen würde, schließlich: „Each day, I read the
bible and pray to God.“
Da ist es nicht verwunderlich, dass die
Nachrichtenüberschriften der letzten Jahre über Detroit Titel
tragen wie „Ruinen überall“, „Zombieland in der Autostadt“,
„Verlassenes Detroit“ oder im Zusammenhang mit der wenige Tage
nach unserem Besuch erfolgten Konkursmeldung in diesem Sommer „Ende
mit Schrecken für Detroit“. Viel interessanter wäre es jedoch
(aber weniger medienwirksam), davon zu berichten, wie Downtown
Detroit mit Umbildungsmaßnahmen wiederbelebt wird, indem
beispielsweise ein schöner und überwachter Park an der
Uferpromenade errichtet wurde und eine Vielzahl neuer Geschäfte Fuß
fassen konnte. Wir überzeugen uns selbst davon, als wir mit Kenn in
der Innenstadt das berühmte „Coney Island Restaurant“ besuchen,
das durch seine „coney“ hot dogs berühmt geworden ist und viele
Jahre zurück hier seine erste Verkaufsstelle eröffnete. Danach
spazieren wir an der schönen „International Riverfront“ am
„Detroit River“, der die Grenze zu Kanada bildet, das an dieser
Stelle südlich der USA liegt.
Vielleicht können die renovierten
Erholungsgebiete und Innenstadtbereiche neue Hoffnung für eine
positive Entwicklung in die gebeutelte Stadt im Südosten von
Michigan spülen.
Wir nutzen die Woche auch für Ausflüge
über die Stadtgrenzen von Detroit hinaus, um noch ein bisschen mehr
von dem „Great Lakes State“ zu sehen, der die längste
Süßwasserküste der Bundesstaaten hat.
Mit Kenn fahren wir dafür
in den Kensington Metropark. Der Park befindet sich inmitten einer
pittoresken Seenlandschaft, die einem die beiden kennzeichnenden
Elemente von Michigan zeigt: Wasser und Natur.
So ist es nicht
ungewöhnlich, dass man während einer Wanderung auf wilde Truthühner
und einen Sprung Rehe trifft.
Am 12.07. besuchen wir das kleine
Städtchen Port Huron, das an der südlichen Spitze des Huronsees
liegt.
Anlass ist die Geburtstagsfeier von Kenns Mutter. Bei einer
Bootsfahrt mit der ganzen Familie auf dem St. Clair River sehen wir
die Zwillingsbrücke Blue Water Bridge, die den östlichsten Zipfel
Michigans mit der kanadischen Provinz Ontario verbindet, und fahren
auf den Lake Huron hinaus, der als einer der fünf nordamerikanischen
Great Lakes auch ein Meer hätte sein können.
Nach dem Bootsausflug
beginnen die Vorbereitungen für das Geburtstagsessen, das, wie
sollte es in den USA auch anders sein, wie jedes Jahr ein leckeres
Barbecue sein wird. Und wie jedes Jahr verlangt die Tradition in
Kenns Familie, dass sein Vater mit uns noch vor dem Essen auf dem
nahegelegenen öffentlichen Platz eine Runde Baseball spielt. Walters
persönliches Highlight an dem Wochenende war aber, dass er von Kenns
Vater, ausgewiesener Baseballfachmann und Hobbyhandwerker, einen
selbstgemachten Baseballschläger geschenkt bekommen hat. Da stellt
sich nur die Frage: Passt der in einen unserer Rucksäcke?
Auch den letzten Tag in Michigan
verbringen wir mit Baseball. Von Kenns Eltern eingeladen fahren wir
in die Bundesstaatshauptstadt Lansing und sehen uns ein Spiel der
Lansing Lugnuts in der Minor League an.
Die vielleicht
amerikanischste aller Sportarten wird auch auf amerikanische Weise
veranstaltet: Familienfeststimmung auf den Rängen, Hot Dog- und
Erdnussverkauf an den Sitzplätzen, Aufstehen zum Singen der
Nationalhymne, die aus 15.000 Kehlen lautstark mitgesungen wird,
Verfolgen der neun Spiel-Innings, dabei die Erdnüsse knacken und
essen, die Pausenunterhaltung kommentieren, sich über „stolen
bases“, „double plays“, „RBIs“ und „batting average“
unterhalten und am Ende das Stadion verlassen, während ein Feuerwerk
den Nachthimmel erhellt.
Wir hatten eine tolle Woche in Michigan, in der wir uns von den vielen gefahrenen Meilen im Westen
erholen konnten und nach den Landschaften nun am Leben der Menschen
in diesem Land teilnehmen durften.
Morgen verlassen wir Detroit
leider wieder, aber dafür treffen wir auf zwei weitere Mitglieder
Walters amerikanischer Familie, mit denen es im Auto von Norden nach
Süden quer durch den amerikanischen Osten in die Nähe von Orlando
nach Florida gehen wird. Mal sehen, wie lange Amerikaner für etwa
1.200 Meilen brauchen...
Fazit Tage 187 bis 193:
Immer noch weit weg und doch schon ein
Stück zu Hause.
Was haben wir heute gelernt? Das
durchschnittliche amerikanische Haus wird nicht durch die Eingangstür
sondern nur durch die Hintertür betreten. In einer Woche haben wir
die vordere Eingangstür sich kein einziges Mal öffnen sehen.
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