Samstag, 13. Juli 2013

Detroit - Tage 1 bis 7

Los Angeles nach Phoenix nach Detroit.


Nach einem weiteren typischen Motelfrühstück geht es zum Flughafen und wir geben unseren guten Jeep Patriot ab. Beim Einchecken müssen wir erneut um gemeinsame Sitzplätze kämpfen. Wie schon bei United bestand bei US Airways beim Onlinecheck-in am Vortag nicht die Möglichkeit, zwei Plätze nebeneinander auszuwählen. Vorausgesetzt man will keinen Aufpreis bezahlen. Bei der Gepäckabgabe und auch später am Schalter kann uns nicht geholfen werden, wir müssen im Flugzeug fragen, ob sich jemand umsetzen möchte. Später erfahren wir dann, dass es auch kein Essen, keine Unterhaltung und keine Fluginfos geben wird. Wir können festhalten, dass sich unsere Begeisterung über die amerikanischen Airlines in Grenzen hält.

Wir landen im weit über 40 Grad heißen Phoenix und sind froh, dass die Maschinen bei den Rekordtemperaturen der letzten Tage immer noch starten und landen können. Von Phoenix sind es dann noch fast vier Stunden, bis unser Anschlussflug von US Airways am frühen Abend in Detroit landet. Für Walter ist es natürlich ein besonderes Gefühl wieder an dem Ort zu sein, der vor einem Jahrzehnt ein Jahr lang sein zu Hause war.

Am Flughafen holen wir dann unser achtes und letztes Auto der Weltreise ab: ein Toyota RAV4 Limited Edition. Mit dem fahren wir durch ein warmes aber verregnetes Michigan ins Redford Township. Redford grenzt mit seinen 50.000 Einwohnern an das berüchtigte Detroit. Als Vorort erlebte es den Niedergang der einstigen Automobilhauptstadt hautnah mit und konnte sich gleichzeitig dem Sog des Zusammenbruchs nicht komplett entziehen. Aber Vorort bleibt Vorort. Es machte und macht also immer noch einen gewaltigen Unterschied, ob man östlich der Telegraph Road irgendwo zwischen 5 Mile und 8 Mile Road und damit laut Kriminalitätsstatistik in einer der gefährlichsten Städte der USA oder ob man in einem Township wie Redford mit einer signifikant anderen Bevölkerungsstruktur und -mentalität wohnt. 


Hat man die Gelegenheit für eine längere Zeit in der einzigen weißen Familie der Straße zwischen besagter 5 Mile und 6 Mile Road zu wohnen aber in einem Vorort zur Schule zu gehen, bekommt man einen Eindruck davon, mit welchen Vorurteilen und Schuldzuweisungen die Bewohner der Innenstadt konfrontiert werden, während sie mit existenzvernichtenden Problemen wie schlechter Schulausbildung, hoher Arbeitslosigkeit, sinkenden städtischen Steuereinnahmen und weit verbreiteter Drogenkriminalität alleine zu kämpfen haben.

Während wir durch das nächtliche Redford fahren, sehen wir, dass sich das äußere Erscheinungsbild in den letzten zehn Jahren verändert hat. Was aber immer noch gleich geblieben ist, ist die außergewöhnliche Gastfreundschaft und Herzlichkeit der Menschen, die hier leben. Wir werden von Kenn, Walters Freund aus Highschool-Zeiten, in seinem zu Hause empfangen und dürfen uns für die nächste Woche in einem eigens für uns hergerichteten Gästezimmer einquartieren. Welch' eine Freude, für eine Weile nicht in einem Hotelzimmer schlafen zu müssen und die Rucksäcke für eine Woche in der Ecke liegen lassen zu dürfen.


Die nächsten Tage genießen wir es, das erste Mal auf der Reise bei bekannten Gesichtern zu sein und wieder so etwas wie eine tägliche Routine zu haben. Nach den anstrengenden letzten sechs Wochen im amerikanischen Südwesten und den insgesamt über 180 Reisetagen schalten wir ein paar Gänge herunter. Während Kenn tagsüber arbeitet, schlafen wir uns aus, frühstücken bei Tim Hortons (die Amerikaner mögen es verzeihen, aber Kanada ist nicht weit und die Donuts sind lecker!), schreiben Blogbeiträge bzw. bearbeiten Bilder und erkunden die Nachbarschaft.

Der Eindruck des ersten Abends scheint sich dabei zu bestätigen. Die ganze Metropolregion Detroit leidet unter dem Bedeutungsverlust der Stadt und dem Wegfall der Arbeitsplätze. Die oben beschriebenen Probleme der Innenstadt scheinen über die unsichtbare Grenze der Telegraph Road in die ersten Straßenzüge des Townships zu schwappen. Aber am auffälligsten ist, dass dieser Entwicklung eine Angstmentalität der Menschen vorausgeht, die die Realität schlechter macht als sie ist und damit dem Wegzug vieler Einwohner Vorschub leistet, anstatt dass versucht wird, positive Gegenmaßnahmen anzustoßen. Symptomatisch sind die Aussagen einer Frisöse, die ein paar Vororte weiter vom Zentrum entfernt wohnt und in der Parallelstraße zu Kenns Haus arbeitet, in einer Gegend also, in der wir uns absolut sicher gefühlt haben. Ungefragt erzählt sie bei einem Frisörbesuch, dass ihre Freunde sie ständig fragen würden, ob sie nicht Angst hätte, hier zuweilen alleine zu arbeiten. Sie entgegne dem immer nur, dass sie das schon überstehen würde, schließlich: „Each day, I read the bible and pray to God.“

Da ist es nicht verwunderlich, dass die Nachrichtenüberschriften der letzten Jahre über Detroit Titel tragen wie „Ruinen überall“, „Zombieland in der Autostadt“, „Verlassenes Detroit“ oder im Zusammenhang mit der wenige Tage nach unserem Besuch erfolgten Konkursmeldung in diesem Sommer „Ende mit Schrecken für Detroit“. Viel interessanter wäre es jedoch (aber weniger medienwirksam), davon zu berichten, wie Downtown Detroit mit Umbildungsmaßnahmen wiederbelebt wird, indem beispielsweise ein schöner und überwachter Park an der Uferpromenade errichtet wurde und eine Vielzahl neuer Geschäfte Fuß fassen konnte. Wir überzeugen uns selbst davon, als wir mit Kenn in der Innenstadt das berühmte „Coney Island Restaurant“ besuchen, das durch seine „coney“ hot dogs berühmt geworden ist und viele Jahre zurück hier seine erste Verkaufsstelle eröffnete. Danach spazieren wir an der schönen „International Riverfront“ am „Detroit River“, der die Grenze zu Kanada bildet, das an dieser Stelle südlich der USA liegt. 


Vielleicht können die renovierten Erholungsgebiete und Innenstadtbereiche neue Hoffnung für eine positive Entwicklung in die gebeutelte Stadt im Südosten von Michigan spülen.

Wir nutzen die Woche auch für Ausflüge über die Stadtgrenzen von Detroit hinaus, um noch ein bisschen mehr von dem „Great Lakes State“ zu sehen, der die längste Süßwasserküste der Bundesstaaten hat. 



Mit Kenn fahren wir dafür in den Kensington Metropark. Der Park befindet sich inmitten einer pittoresken Seenlandschaft, die einem die beiden kennzeichnenden Elemente von Michigan zeigt: Wasser und Natur. 



So ist es nicht ungewöhnlich, dass man während einer Wanderung auf wilde Truthühner und einen Sprung Rehe trifft.


Am 12.07. besuchen wir das kleine Städtchen Port Huron, das an der südlichen Spitze des Huronsees liegt. 


Anlass ist die Geburtstagsfeier von Kenns Mutter. Bei einer Bootsfahrt mit der ganzen Familie auf dem St. Clair River sehen wir die Zwillingsbrücke Blue Water Bridge, die den östlichsten Zipfel Michigans mit der kanadischen Provinz Ontario verbindet, und fahren auf den Lake Huron hinaus, der als einer der fünf nordamerikanischen Great Lakes auch ein Meer hätte sein können. 


Nach dem Bootsausflug beginnen die Vorbereitungen für das Geburtstagsessen, das, wie sollte es in den USA auch anders sein, wie jedes Jahr ein leckeres Barbecue sein wird. Und wie jedes Jahr verlangt die Tradition in Kenns Familie, dass sein Vater mit uns noch vor dem Essen auf dem nahegelegenen öffentlichen Platz eine Runde Baseball spielt. Walters persönliches Highlight an dem Wochenende war aber, dass er von Kenns Vater, ausgewiesener Baseballfachmann und Hobbyhandwerker, einen selbstgemachten Baseballschläger geschenkt bekommen hat. Da stellt sich nur die Frage: Passt der in einen unserer Rucksäcke?

Auch den letzten Tag in Michigan verbringen wir mit Baseball. Von Kenns Eltern eingeladen fahren wir in die Bundesstaatshauptstadt Lansing und sehen uns ein Spiel der Lansing Lugnuts in der Minor League an. 


Die vielleicht amerikanischste aller Sportarten wird auch auf amerikanische Weise veranstaltet: Familienfeststimmung auf den Rängen, Hot Dog- und Erdnussverkauf an den Sitzplätzen, Aufstehen zum Singen der Nationalhymne, die aus 15.000 Kehlen lautstark mitgesungen wird, Verfolgen der neun Spiel-Innings, dabei die Erdnüsse knacken und essen, die Pausenunterhaltung kommentieren, sich über „stolen bases“, „double plays“, „RBIs“ und „batting average“ unterhalten und am Ende das Stadion verlassen, während ein Feuerwerk den Nachthimmel erhellt.


Wir hatten eine tolle Woche in Michigan, in der wir uns von den vielen gefahrenen Meilen im Westen erholen konnten und nach den Landschaften nun am Leben der Menschen in diesem Land teilnehmen durften. 


Morgen verlassen wir Detroit leider wieder, aber dafür treffen wir auf zwei weitere Mitglieder Walters amerikanischer Familie, mit denen es im Auto von Norden nach Süden quer durch den amerikanischen Osten in die Nähe von Orlando nach Florida gehen wird. Mal sehen, wie lange Amerikaner für etwa 1.200 Meilen brauchen...

Fazit Tage 187 bis 193:

Immer noch weit weg und doch schon ein Stück zu Hause.

Was haben wir heute gelernt? Das durchschnittliche amerikanische Haus wird nicht durch die Eingangstür sondern nur durch die Hintertür betreten. In einer Woche haben wir die vordere Eingangstür sich kein einziges Mal öffnen sehen.


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