Auf der Inselwelt von Si Phan Don
gewinnt die Sonne für uns Stadtmenschen wieder an Bedeutung. Der
Sonnenaufgang beendet die Nacht und das Untergehen der Sonne hüllt
die Insel, auf der er es keine Straßenlaternen gibt, wieder in
Dunkelheit. Bis dahin sollte man wieder im eigenen Dorf zurück sein,
es sei denn, man fährt ein ausnahmsweise beleuchtetes Moped oder ist
im Besitz einer Taschenlampe. Und auch sonst zeigt sich Don Khone von
seiner ursprünglichen Seite.
Es gibt noch keine geteerten Straßen.
Die sandigen Wege werden am Morgen mit Wasser begossen, damit die
Motorroller und Fahrräder nicht gar so viel Dreck aufwirbeln.
Freilaufende Hähne, Hühner und Küken prägen das Dorfleben.
Wasserbüffel, streunende Hunde und Katzen ergänzen die tierische
Geräuschkulisse.
Erstaunlicherweise werden wir aber von
Stechmücken verschont, obwohl wir direkt am Fluss wohnen. Vielleicht
weil gerade Trockenzeit herrscht? Wir beschweren uns jedenfalls nicht
und beginnen den Tag mit einem Baguette zum Frühstück. Der
französische Einfluss zeigt sich nicht nur am überall erhältlichen
Weißbrot, sondern auch an der Vielzahl von französischen Schildern
und französischsprechenden Touristen. Eine Essensbeilage ist jedoch
ganz deutlich laotisch: „sticky rice“. Ein klebriger, in Klumpen
zusammenhängender Reis, den wir als süße Variante schon in
Thailand kennengelernt haben, der hier Beilage der Wahl für jede
Mahlzeit ist. Er schmeckt viel besser als diese Beschreibung
vielleicht vermuten lässt.
Für die Inselerkundung wählen wir ein
Verkehrsmittel, das wir bis jetzt auf unserer Reise noch nicht
benutzt haben: das Fahrrad. Fast jede Unterkunft und jedes Restaurant
vermietet ein Zweirad, das einen gemütlich von A nach B bringt.
Gemütlich ist es, wenn man davon absieht, dass die Geröllpisten
einen ordentlich durchschütteln und dass die größten Fahrräder
für uns immer noch einen Tick zu klein sind. Wir fahren zur
nächstgelegenen Sehenswürdigkeit von Don Khone, eine alte
Lokomotive aus der französischen Kolonialzeit.
Die Franzosen
versuchten im 19. Jahrhundert in Indochina, ein Sammelbegriff für
die Staaten Südostasiens, der den kulturellen Einfluss Indiens und
Chinas auf die Region hervorhebt, Fuß zu fassen. Sie landeten in
Südvietnam und hatten bald das Mekongdelta unter ihrer Kontrolle.
Das französische Kolonialreich sah, wie sich die Briten in Myanmar
und in China immer größeren Einfluss verschafften und wollte so
schnell wie möglich am lukrativen Handel in China teilhaben. Da
wurde die Idee geboren, eine Schifffahrtsroute den Mekong entlang in
Richtung Norden durch Laos einzurichten. Euphorisch schickte man
Expeditionsschiffe stromaufwärts. Sie kamen jedoch nur bis Si Phan
Don, den 4000 Inseln. Auf Höhe der südlichen Inseln bricht die
Landschaft nämlich ab und der Mekong stürzt in vielen wilden
Wasserfällen mehrere Meter in die Tiefe. Das bedeutete das Ende
einer direkten Schifffahrtsverbindung, aber den Beginn der
Eisenbahntrasse auf Don Khone, die das Umladen der Schiffsladungen
auf die höhere Flussebene erleichterte. Von dieser Zeit berichten
die informativen Tafeln neben der alten Lokomotive.
Wir prüfen die Geschichte nach und
fahren zu einem der Wasserfälle, die ein solch großes Hindernis für
die französische Kolonialmacht waren. In der Tat lässt sich schwer
vorstellen, wie ein Handelsschiff oder Kanonenboot einen
Höhenunterschied bei diesen Stromschnellen überwinden könnte.
Auf den Fahrrädern fahren wir
verlassene kleine Wege durch den noch nicht ganz von der Trockenzeit
ausgedörrten grünen Wald. Man sieht und hört lange Zeit niemanden,
so dass man glauben könnte, auf einer einsamen heißen Insel
gelandet zu sein.
Aber einsam ist auch Don Khone nicht mehr. Während
es vor zwei Jahren noch nicht einmal Stromleitungen und schon gar
kein Internet gab, sind heute die Generatoren abgeschafft, stabile
Leitungen gelegt und es wird Free WiFi angeboten. Auch die Gasthäuser
für die Rucksacktouristen haben sich vermehrt. Weitere sind mit
Sicherheit schon im Bau. Man fragt sich natürlich, ob diese
Tourismusentwicklung, an der man teilnimmt, positiv ist? Mit dem
Strom halten Restaurants, die westliches Essen anbieten, und größere
Hotelanlagen, die aus Beton gebaut werden, Einzug. Vielleicht nicht
unbedingt auf diesen Inseln, aber sicher in touristisch stärker
frequentierten Städten auf dem Festland. Die Ursprünglichkeit
dieses Landes geht dabei verloren, das Stadtbild gleicht sich
Altbekanntem an. Auf der anderen Seite kann der Tourismus auch eine
Einnahmequelle für die Bevölkerung sein. Der Ausbau der
Infrastruktur verkürzt Distanzen, Hygienestandards werden gehoben,
medizinische Versorgung wird verbessert, was zur Senkung der hohen
Kindersterblichkeitsrate und zur Steigerung der durchschnittlichen
Lebenserwartung von 54 Jahren in diesem Land führen kann. Eine
mitunter schwierige Abwägung, die da getroffen werden muss.
Nach vier Kilometern erreichen wir die
Südspitze der Insel. Zu Mittag essen wir in einem der typischen
Restaurants, das gleichzeitig Wohnzimmer und Schlafplatz der Bewohner
ist. Man hat eine tolle Aussicht auf den wie ein See wirkenden Mekong
und das nur wenige Hundert Meter entfernt liegende Kambodscha.
Hier
tummeln sich die berühmtesten Bewohner der 4000 Inseln: die
Irrawaddy-Delphine. Sie sind seltene Süßwasser-Delphine und gehören
zur Ordnung der Wale. Ihre Tauchzeiten sind sehr kurz. Sie springen
allerdings nicht an die Oberfläche, sondern zeigen nur ihren Rücken
und den Kopf, der der Kopfform des Weißwals ähnelt. Diese Delphine
sind uns schon im Februar 2012 ganz am Anfang der Weltreiseidee
begegnet. Im Fernsehen haben wir eine Doku über zwei
Rucksackreisende gesehen, die nach Laos gekommen sind, um eben jene
Tiere in genau dem vor uns liegenden Gewässer zu filmen. Wir freuen
uns, nun selbst an derselben Stelle zu stehen und sind gespannt, ob
wir die Säuger zu Gesicht bekommen. Obwohl uns empfohlen worden ist,
am frühen Morgen eine Besichtigung zu machen, beschließen wir
spontan eines der vielen kleinen am Ufer liegenden Longtail-Boote zu
nehmen. Es ist nicht viel los und die in der Sonne sitzenden Laoten
sind gerne bereit uns auf den Fluss hinaus zu fahren. Zwei andere
Touristen, ein verplanter Deutscher und ein großer Finne, schließen
sich uns an.
Beim Einsteigen in das Boot werden zwei
Dinge plötzlich deutlich: Unser „Skipper“ ist ein Kind, das
vielleicht zwölf Jahre alt ist. Und das Boot ist eine bessere
Nussschale. Wir müssen einer nach dem anderen vorsichtig einsteigen,
während unser Skipper die Nussschale festhält, damit sie nicht
umkippt. Der Rumpf ist so schmal, dass wir hintereinander sitzen
müssen. Lehnt sich einer der Passagiere auf eine Seite, berührt die
Nussschalenkante fast das Wasser. Uns treibt weniger die Angst, dass
wir ein kühles Bad im Mekong nehmen könnten, sondern vielmehr dass
unsere Wertsachen inklusive unserer liebgewonnenen elektronischen
Begleiter in den blaugrünen Mekong verschwinden. Doch ehe wir etwas
an der gefühlt schlechtesten Idee unserer Reise ändern können,
haben wir abgelegt und steuern auf den Mekong hinaus. Nicht gerade
beruhigend ist, dass unser Skipper mit einem kleinen Plastikeimer
erst einmal Wasser aus dem hinteren Teil der Nussschale zurück in
den Fluss kippt. Es nützt nichts, wir fügen uns der einstündigen
Nussschalenfahrt und halten Ausschau nach den Delphinen.
Nach zehn
Minuten verlangsamen wir. Vor uns liegt die Grenze zu Kambodscha, die
wir ohne eine weitere Gebühr von 2 € pro Person nicht überfahren
dürfen. Und wie aus dem Nichts sehen wir sie. Zuerst in einiger
Entfernung auf der kambodschanischen Seite und dann immer näher
kommend, bis sie fast neben unserer Nussschale nach Luft schnappen.
Wir sehen die Rücken und Finnen der Irrawaddy-Delphine, wie sie in
Gruppen an die Wasseroberfläche kommen und dann wieder abtauchen.
Ein tolles Erlebnis. Nur mit Mühe können wir uns einige Zeit später
wieder abwenden und zurück ans Ufer fahren. Der Ausflug hat sich am
Ende doch gelohnt.
Fazit Tage 48 und 49:
Laos ist heute wie früher ein
beliebtes Reiseland der Franzosen. (Leider haben sie ihren leckeren
Käse nicht mitgebracht.)
Was haben wir heute gelernt? In unserer
Vorstellung war der Mekong ein tiefbrauner und ziemlich dreckiger
Fluss. Umso erstaunter waren wir, als er sich uns hier blaugrün und
klar präsentierte. Der Reiseführer erklärt das mit dem monsunalen
Klima. In der Regenzeit würden die großen Wassermassen den vielen
am Flussboden befindlichen Sand aufwirbeln, was zu der starken
braunen Verfärbung führe, die nicht auf Verunreinigungen
zurückzuführen sei. In der Trockenzeit dagegen setzt sich der Sand
ab und der Mekong schimmert in klaren Farben.
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