Zurückgelegte Meilen: 238
Es ist ein Name, der wohl bei jedem
Menschen Reisewünsche weckt und große Erwartungen erzeugt. Dieses
Wunder der Natur ist wie die Tempel von Angkor einer dieser
herausragenden Orte, die uns im Dezember letzten Jahres veranlassten,
unsere Rucksäcke zu packen und im Januar aufzubrechen. Heute ist endlich der
Tag, an dem wir den Grand Canyon, diese 450 Kilometer lange Schlucht
im Südwesten der USA, zu Gesicht bekommen.
Allerdings wussten wir beide im
Dezember noch nicht, dass unser Wecker um 02:45 Uhr in der Nacht
klingeln würde. Wer hatte diese blöde Idee, zum Sonnenaufgang
aufzustehen?! Wir sind noch völlig fertig als unsere Handys in der
Dunkelheit klingeln und spielen nicht nur einmal mit dem Gedanken,
die Sonne ruhig ohne uns aufgehen zu lassen. Aber irgendwie schaffen
wir es doch noch, die Bettdecke wegzuschlagen, aufzustehen und
langsam die Augen zu öffnen. Rucksack und Kameratasche werden
umgeworfen und die eine offene Tankstelle vor der Interstate wird
angesteuert. Mit zwei 400ml heißen Bechern Kaffee sieht die Welt
schon gleich anders aus.
Die 58 Meilen von unserem Hotel zum
Eingang des Nationalparks legen wir in der Dunkelheit zurück.
Unterwegs sehen wir keine anderen Autos, nur die vielen Elche am Rand
der Landstraße, die uns kritisch zu beäugen scheinen. Wer ist auch
so verrückt, um diese Uhrzeit zum Grand Canyon zu fahren, denken
wir. Aber unser Reiseführer und Berichte im Internet empfehlen,
unbedingt mindestens eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang am
Mather's Point, einer der besten „sunrise“-Punkte, zu sein, um
noch einen Platz für sein Stativ zu finden.
Nach etwa einer Stunde Fahrt passieren
wir die Stadt Tusayan und kurz danach das noch geschlossene
Tickethäuschen am Eingang des Nationalparks. Der Mather's Point ist
für fast alle Besucher der erste Aussichtspunkt auf den Canyon, da
er in der Nähe des Visitor Centers und der Parkplätze liegt.
Tatsächlich parken auch schon einige Fahrzeuge auf der weitläufigen
Fläche als wir etwa 40 Minuten vor Sonnenaufgang unseren Wagen
abstellen. An der Aussichtsplattform sehen wir dann aber nur eine
Handvoll Leute stehen. Unvorstellbar, dass sich dieser Platz noch mit
Menschenmassen füllen soll. Der Reiseführer scheint maßlos
übertrieben zu haben.
Alle diese und andere Gedanken sind
dann jedoch wie weggefegt, wenn man nach vorne geht, das Geländer
erreicht und die Augen den riesigen Abgrund erblicken. Selbst in der
lichtarmen Dämmerung ist man von den Ausmaßen dieser Mutter aller
Schluchten überwältigt. Gerade wenn man glaubt, den Boden erspäht
zu haben, entdeckt man weitere Abrisskanten, die noch weiter in die
Tiefe führen. Diese Zeilen sind ein weiterer vergeblicher Versuch,
etwas zu beschreiben, das man selbst sehen muss, um es zu glauben
ohne es verstehen zu können.
Und dann geht die Sonne am Horizont auf
und die rötlichen Felswände erstrahlen im Licht. Meter für Meter
verschwindet die Dunkelheit aus diesem riesigen Stück Erdgeschichte.
Zuletzt erreichen die Sonnenstrahlen auch den Colorado River am Boden
des Canyon, der von hier oben wie ein kleiner Bach aussieht. Es
erscheint ein Ding der Unmöglichkeit, dass dieses bisschen Wasser
mit Hilfe von Wind und Temperaturschwankungen den Grand Canyon
erschaffen haben soll.
Während wir den Sonnenaufgangs
beobachten, ereignet sich hinter uns ein von Menschen verursachtes
Schauspiel. Wenige Minuten bevor die Sonne aufgeht fallen Scharen von
Asiaten, unserer Vermutung nach hauptsächlich Chinesen und Japaner,
in der Aussichtsplattform ein. In zahlreichen Bussen herangefahren,
fluten sie jede kleinste Ecke von Mather's Point. In wenigen Momenten
ist der ganze Platz belegt und unser Reiseführer ist bestätigt.
Unfassbar wird es dann, als eine Asiatin mittleren Alters, mit ihrer
grimmig dreinblickenden Mutter im Schlepptau, allen Ernstes auf ihren
Knien zwischen unseren Beinen an das Geländer heranrobbt. Das
Nichtvorhandensein eines Minimums an körperlicher Privatsphäre geht
damit einher, dass sich auch für Rempler nicht entschuldigt wird.
Und während die robbende Asiatin verzweifelt nach einer Lücke im
Gitter sucht, kuschelt ihre Mutter von hinten mit dem staunenden
Walter.
So schnell sie gekommen sind, so
schnell waren sie aber auch wieder weg. Wenige Minuten nach
Sonnenaufgang ist der Platz deutlich leerer und wir spazieren von
Mather's zum Yavapai Point entlang eines Trails am Canyonrand.
Hier
ist um diese Uhrzeit kaum ein Mensch und man kann in Ruhe und ohne
Geländer, sofern man schwindelfrei ist, weitere Eindrücke vom Grand
Canyon sammeln.
Vom Yavapai Point nehmen wir den Bus zum Visitor
Center und dann zur Hermit Road. Weil in den Sommermonaten so viele
Menschen den Grand Canyon besuchen, wird die Sightseeing-Straße
„Hermit Road“ für den Autoverkehr gesperrt und von einem
kostenlosen Shuttle-Service bedient.
In einem fast leeren Bus fahren
wir zu den Aussichtsplattformen entlang der nach Westen führenden
Straße.
Wir sehen Powell Point, spazieren zu Hopi Point, fahren zu
Mohave Point und von dort wieder zurück zum Parkplatz.
Es ist
mittlerweile fast 10:00 Uhr und nicht nur die Temperatur nimmt
ordentlich zu, sondern die uns entgegenkommenden Busse sind bis auf
den letzten Platz voll. Möchte man am Grand Canyon den
Menschenmassen entgehen, dann sollte man früh aufstehen und
rechtzeitig wieder verschwinden.
Wir steigen ins Auto und fahren die 58
Meilen zurück nach Williams zu unserem Hotel. Auf der einstündigen
Fahrt kommt uns eine Karawane von Reisebussen und Autos entgegen, die
alle in den Nationalpark strömen. Wir freuen uns dagegen auf unser
Bett. Nachdem wir mit unseren Familien geskypt haben, schalten wir
unsere innere Uhr aus und schlafen auf der Stelle ein. Aber damit ist
der Tag für uns noch nicht zu Ende. Von den paar Stunden Schlaf
euphorisiert wollen wir auch den Sonnenuntergang am Grand Canyon
erleben. Also geht es am Nachmittag die nunmehr bekannte Strecke
wieder zurück.
Wir parken in der Nähe des Shuttles, fahren auf der
Hermit Road zum Hopi Point und genießen den Sonnenuntergang vor
dieser beeindruckenden Kulisse.
Nach einer weiteren einstündigen Fahrt
fallen wir heute ein zweites Mal müde ins Bett. Das war ohne Frage
ein anstrengender Tag, aber wir finden, es hat sich gelohnt.
Fazit Tag 152:
Früh aufstehen ist schwerer als spät
schlafen gehen.
Was haben wir heute gelernt? Der Grand
Canyon ist bis zu 1800 Meter tief. Die gegenüberliegende Nordkante
ist zwar nur maximal 30km entfernt, kann aber, da es keine Brücken
gibt, nur über einen Umweg über Hunderte von Kilometern erreicht
werden. Wissenschaftler vermuten, dass der Colorado River etwa 5 bis
6 Millionen Jahre gebraucht hat, um dieses UNESCO-Weltkulturerbe zu
schaffen. Wer möchte, kann anhand der sichtbaren Gesteinsschichten,
ähnlich der Jahresringe eines Baumes, das Alter unseres Planeten
ablesen.
Hach, bei euren Berichten möchte man doch gleich wieder seine Sachen packen und in den Flieger steigen...und wenn man noch zwei Asiaten auf den Schultern tragen muss, um diese grandiosen Aussichten zu bewundern ;-)
AntwortenLöschenViele Grüße aus dem sonnigen Norden Deutschlands!