Sonntag, 2. Juni 2013

Grand Canyon


Zurückgelegte Meilen: 238

Es ist ein Name, der wohl bei jedem Menschen Reisewünsche weckt und große Erwartungen erzeugt. Dieses Wunder der Natur ist wie die Tempel von Angkor einer dieser herausragenden Orte, die uns im Dezember letzten Jahres veranlassten, unsere Rucksäcke zu packen und im Januar aufzubrechen. Heute ist endlich der Tag, an dem wir den Grand Canyon, diese 450 Kilometer lange Schlucht im Südwesten der USA, zu Gesicht bekommen.

Allerdings wussten wir beide im Dezember noch nicht, dass unser Wecker um 02:45 Uhr in der Nacht klingeln würde. Wer hatte diese blöde Idee, zum Sonnenaufgang aufzustehen?! Wir sind noch völlig fertig als unsere Handys in der Dunkelheit klingeln und spielen nicht nur einmal mit dem Gedanken, die Sonne ruhig ohne uns aufgehen zu lassen. Aber irgendwie schaffen wir es doch noch, die Bettdecke wegzuschlagen, aufzustehen und langsam die Augen zu öffnen. Rucksack und Kameratasche werden umgeworfen und die eine offene Tankstelle vor der Interstate wird angesteuert. Mit zwei 400ml heißen Bechern Kaffee sieht die Welt schon gleich anders aus.

Die 58 Meilen von unserem Hotel zum Eingang des Nationalparks legen wir in der Dunkelheit zurück. Unterwegs sehen wir keine anderen Autos, nur die vielen Elche am Rand der Landstraße, die uns kritisch zu beäugen scheinen. Wer ist auch so verrückt, um diese Uhrzeit zum Grand Canyon zu fahren, denken wir. Aber unser Reiseführer und Berichte im Internet empfehlen, unbedingt mindestens eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang am Mather's Point, einer der besten „sunrise“-Punkte, zu sein, um noch einen Platz für sein Stativ zu finden.

Nach etwa einer Stunde Fahrt passieren wir die Stadt Tusayan und kurz danach das noch geschlossene Tickethäuschen am Eingang des Nationalparks. Der Mather's Point ist für fast alle Besucher der erste Aussichtspunkt auf den Canyon, da er in der Nähe des Visitor Centers und der Parkplätze liegt. Tatsächlich parken auch schon einige Fahrzeuge auf der weitläufigen Fläche als wir etwa 40 Minuten vor Sonnenaufgang unseren Wagen abstellen. An der Aussichtsplattform sehen wir dann aber nur eine Handvoll Leute stehen. Unvorstellbar, dass sich dieser Platz noch mit Menschenmassen füllen soll. Der Reiseführer scheint maßlos übertrieben zu haben.

Alle diese und andere Gedanken sind dann jedoch wie weggefegt, wenn man nach vorne geht, das Geländer erreicht und die Augen den riesigen Abgrund erblicken. Selbst in der lichtarmen Dämmerung ist man von den Ausmaßen dieser Mutter aller Schluchten überwältigt. Gerade wenn man glaubt, den Boden erspäht zu haben, entdeckt man weitere Abrisskanten, die noch weiter in die Tiefe führen. Diese Zeilen sind ein weiterer vergeblicher Versuch, etwas zu beschreiben, das man selbst sehen muss, um es zu glauben ohne es verstehen zu können.


Und dann geht die Sonne am Horizont auf und die rötlichen Felswände erstrahlen im Licht. Meter für Meter verschwindet die Dunkelheit aus diesem riesigen Stück Erdgeschichte. 


Zuletzt erreichen die Sonnenstrahlen auch den Colorado River am Boden des Canyon, der von hier oben wie ein kleiner Bach aussieht. Es erscheint ein Ding der Unmöglichkeit, dass dieses bisschen Wasser mit Hilfe von Wind und Temperaturschwankungen den Grand Canyon erschaffen haben soll.


Während wir den Sonnenaufgangs beobachten, ereignet sich hinter uns ein von Menschen verursachtes Schauspiel. Wenige Minuten bevor die Sonne aufgeht fallen Scharen von Asiaten, unserer Vermutung nach hauptsächlich Chinesen und Japaner, in der Aussichtsplattform ein. In zahlreichen Bussen herangefahren, fluten sie jede kleinste Ecke von Mather's Point. In wenigen Momenten ist der ganze Platz belegt und unser Reiseführer ist bestätigt. Unfassbar wird es dann, als eine Asiatin mittleren Alters, mit ihrer grimmig dreinblickenden Mutter im Schlepptau, allen Ernstes auf ihren Knien zwischen unseren Beinen an das Geländer heranrobbt. Das Nichtvorhandensein eines Minimums an körperlicher Privatsphäre geht damit einher, dass sich auch für Rempler nicht entschuldigt wird. Und während die robbende Asiatin verzweifelt nach einer Lücke im Gitter sucht, kuschelt ihre Mutter von hinten mit dem staunenden Walter.


So schnell sie gekommen sind, so schnell waren sie aber auch wieder weg. Wenige Minuten nach Sonnenaufgang ist der Platz deutlich leerer und wir spazieren von Mather's zum Yavapai Point entlang eines Trails am Canyonrand. 


Hier ist um diese Uhrzeit kaum ein Mensch und man kann in Ruhe und ohne Geländer, sofern man schwindelfrei ist, weitere Eindrücke vom Grand Canyon sammeln. 


Vom Yavapai Point nehmen wir den Bus zum Visitor Center und dann zur Hermit Road. Weil in den Sommermonaten so viele Menschen den Grand Canyon besuchen, wird die Sightseeing-Straße „Hermit Road“ für den Autoverkehr gesperrt und von einem kostenlosen Shuttle-Service bedient. 


In einem fast leeren Bus fahren wir zu den Aussichtsplattformen entlang der nach Westen führenden Straße. 


Wir sehen Powell Point, spazieren zu Hopi Point, fahren zu Mohave Point und von dort wieder zurück zum Parkplatz. 


Es ist mittlerweile fast 10:00 Uhr und nicht nur die Temperatur nimmt ordentlich zu, sondern die uns entgegenkommenden Busse sind bis auf den letzten Platz voll. Möchte man am Grand Canyon den Menschenmassen entgehen, dann sollte man früh aufstehen und rechtzeitig wieder verschwinden.


Wir steigen ins Auto und fahren die 58 Meilen zurück nach Williams zu unserem Hotel. Auf der einstündigen Fahrt kommt uns eine Karawane von Reisebussen und Autos entgegen, die alle in den Nationalpark strömen. Wir freuen uns dagegen auf unser Bett. Nachdem wir mit unseren Familien geskypt haben, schalten wir unsere innere Uhr aus und schlafen auf der Stelle ein. Aber damit ist der Tag für uns noch nicht zu Ende. Von den paar Stunden Schlaf euphorisiert wollen wir auch den Sonnenuntergang am Grand Canyon erleben. Also geht es am Nachmittag die nunmehr bekannte Strecke wieder zurück. 


Wir parken in der Nähe des Shuttles, fahren auf der Hermit Road zum Hopi Point und genießen den Sonnenuntergang vor dieser beeindruckenden Kulisse.


Nach einer weiteren einstündigen Fahrt fallen wir heute ein zweites Mal müde ins Bett. Das war ohne Frage ein anstrengender Tag, aber wir finden, es hat sich gelohnt.

Fazit Tag 152:

Früh aufstehen ist schwerer als spät schlafen gehen.

Was haben wir heute gelernt? Der Grand Canyon ist bis zu 1800 Meter tief. Die gegenüberliegende Nordkante ist zwar nur maximal 30km entfernt, kann aber, da es keine Brücken gibt, nur über einen Umweg über Hunderte von Kilometern erreicht werden. Wissenschaftler vermuten, dass der Colorado River etwa 5 bis 6 Millionen Jahre gebraucht hat, um dieses UNESCO-Weltkulturerbe zu schaffen. Wer möchte, kann anhand der sichtbaren Gesteinsschichten, ähnlich der Jahresringe eines Baumes, das Alter unseres Planeten ablesen.


1 Kommentar:

  1. Hach, bei euren Berichten möchte man doch gleich wieder seine Sachen packen und in den Flieger steigen...und wenn man noch zwei Asiaten auf den Schultern tragen muss, um diese grandiosen Aussichten zu bewundern ;-)
    Viele Grüße aus dem sonnigen Norden Deutschlands!

    AntwortenLöschen