Mittwoch, 20. Juli 2016

Dawson City

Gefahrene Kilometer: 54,5.

Gold schürfen im Fluss, zu einem verfallenen Schiffswrack wandern, im Stau stehen vor der Fähre, organischen Kaffee im Alchemy Cafe trinken und auf einem Berg hoch über der Stadt die Sonne genießen und mit Santa über das Leben im Yukon reden. Ein Tag in Dawson City.

"The winter! the brightness that blinds you,
The white land locked tight as a drum,
The cold fear that follows and finds you,
The silence that bludgeons you dumb.
The snows that are older than history,
The woods where the weird shadows slant;
The stillness, the moonlight, the mystery,
I've bade 'em good-bye - but I can't"

(aus "The Spell of the Yukon" von Robert Service)


"Stillness" haben wir heute Nacht auf dem Goldrush Campingplatz nicht erlebt. Eher benachbartes Hundegebell und lärmende Menschen. Das ist auch ein Nachteil der Camper-Konstruktion: Die Wände sind sehr dünn, jedes Außengeräusch ist zu gut wahrnehmbar. Dafür ist die Lage des Platzes mitten in der Stadt sehr schön, die Leute an der Rezeption super hilfsbereit und wir haben für unsere Verhältnisse sehr lange geschlafen, so dass wir die Check-out Zeit um 11:00 Uhr gerade so schaffen.

Für jeden sollte der erste Anlaufpunkt in Dawson das hervorragend ausgestattete (nicht nur mit freiem WLAN) Visitor Center sein. Dort mieten wir einen mp3-player für einen self-guided Stadtspaziergang durch die Stadt. Und Dawson kann sich wirklich sehen lassen. 



Wir erfahren Geschichten u.a. über das Krankenhaus zu Goldrausch-Zeiten, über das damals auf- und verblühende Rotlichtviertel und sehen den Raddampfer SS Keno. 


In den Jahren nach 1896 (also nachdem am Nachmittag des 17. August im Kies des Rabbit Creek Gold gefunden wurde, die Nachricht in den Rest des Landes drang und Tausende von Abenteurern in Dawson einfielen) zeigte der Raddampfer die wichtigen Jahreszeiten an: Winter und das restliche Jahr. Wenn der Dampfer Dawson im Spätherbst vor dem Gefrieren des Yukon verließ, wussten die Einwohner, erst in vielen Monaten gibt es wieder Kontakt zur Außenwelt nach Whitehorse. Und wenn im Frühjahr das Schiffshorn schon Meilen vor der Ankunft wieder das erste Mal zu vernehmen war, sammelte sich die ganze Stadt am Anleger.



Wir sammeln nach dem Spaziergang unsere warmen Wanderstiefel und machen das, was schon Robert Service eindrücklich beschrieben hat: Gold suchen! 


Knapp 20 Kilometer von der Innenstadt liegt der sog. "Claim 33", ein wie zu Hochzeiten abgestecktes Stück Land, in dem man für eine kleine Gebühr im Fluss nach Gold schürfen kann. Vorher wird uns Neulingen noch gezeigt, in welchem Winkel wir die Goldwaschpfanne halten müssen, damit sich das schwere Gold von dem wertlosen Gestein löst und am Boden absetzt. 


Ein Erfolgserlebnis ist beim Training garantiert: Einige kleine "Nuggets" (im Wert von 6 $!) nehmen wir auf jeden Fall mit nach Hause.


Auf dem Weg zum Claim an der ehemaligen Goldgräbersiedlung Bonanza stellen wir überrascht fest, dass heute noch immer einige Verwegene nach Gold suchen. Natürlich nicht mehr mit der Pfanne, sondern mit großen Baumaschinen und moderner Technik, aber nicht minder verblüffend, dass die Erfolgsaussichten offensichtlich nicht bei Null liegen. Wir haben jedenfalls eine Menge Spaß beim Schürfen am Fluss. Leider sind wir aber auf keine unentdeckte Goldader gestoßen.


Um mehr Erfolg zu haben, hätten wir wahrscheinlich nochmal die alte Gold Dredge No. 4, einer der größten Goldschwimmbagger aus Holz, anwerfen müssen.


Nach so viel harter Goldsucherei müssen wir uns zurück in Dawson erst einmal stärken. Dazu eignet sich unserer Meinung nach ganz hervorragend das "Reuben" Sandwich im Jack London Grill wie auch ein leckeres Stück Bio-Kuchen im Alchemy Cafe.

Danach setzen wir erneut mit der Fähre auf das andere Yukon-Ufer über und steuern den staatlichen Campground an. Allerdings nicht um hier zu übernachten. Wir suchen einen alten Raddampfer, der als Wrack direkt am Strand des Yukon die Zeit über sich ergehen lässt. 



Ein kurzer Weg stromabwärts vom Ende des Campingplatzes direkt am Strand entlang führt zu ihm.


So schnell wir dort waren, so lange brauchen wir, um wieder nach Dawson zu gelangen: Ein riesiger Truck, mit zwei schweren Baumaschinen beladen, steht an der Fähre. Die Maschinen scheinen so schwer zu sein, dass die Fähre jeweils nur eine aufladen kann. Auf diese Weise hat man dann im Niemandsland Fähr-Wartezeiten von einer Stunde.

Das macht aber nichts, denn wir müssen heute Abend nirgendwo rechtzeitig einchecken. Wir übernachten nämlich einfach im Wald auf dem "Midnight Dome", dem hohen Berg über Dawson, von dem man einen fantastischen Blick auf die Landschaft hat. Wir haben zudem Glück, dass das Wetter mitspielt und die Wolken sich verziehen.


So genießen wir auf der riesigen Holzparkbank auf dem Gipfel den nicht stattfindenden Sonnenuntergang und lernen "Santa" kennen. Santa ist in England geboren, war zu Militärzeiten in Deutschland stationiert und machte schließlich vor vielen Jahren den Weg von Iowa nach Dawson City, Yukon. Er wohnt 25 Kilometer von Dawson entfernt am Klondike River in einer Hütte im Wald. Warum? Weil Dawson mit seinen etwa 1.000 Einwohnern einfach viel zu betriebsam und geschäftig ist. Er war heute in der Stadt, um seine Post abzuholen. Erfolglos, weil die Post geschlossen hatte. Er stattet bei diesem Ausflug aber regelmäßig dem Midnight Dome einen Besuch ab. Wir freuen uns darüber, denn so erfahren wir, wie das Leben hier im hohen Norden so sein kann. Schnell geklärt ist, warum Santa Santa heißt. Wer mit Blick auf das Äußere (große, kugelrunde Figur, unfassbar langer weißer Bart) noch nicht die Assoziation hatte, der hatte sie spätestens nach dem Santa für die Kinder von Dawson bei Aufführungen den Weihnachtsmann gespielt hat. Und schließlich hat jeder (richtige) Einwohner einen Spitznamen. Santa, Caveman Bill, der in einer Höhle wohnt oder auch einfach the Indian (was nicht sehr aussagekräftig ist, da 1/3 der Einwohner in Dawson von den First Nations abstammt.

Dawson scheint alles zu haben, was man so für das Leben braucht. Seit neuestem ein kleines Krankenhaus, in dem das Nötigste erledigt werden kann. Dazu gehört allerdings keine Geburtsstation. Schwangere müssen zwei Wochen vor dem Stichtag nach Whitehorse gebracht werden. Eine Fahrt, die 6 Stunden in die eine Richtung dauert, die aber jeder tätigt, wenn er mal groß einkaufen muss. Dafür wird der Richter dann alle zwei Wochen aus Whitehorse eingeflogen, wo er dann im Museum (in äußerst dekorativem Rahmen) Recht spricht. Wer hier lebt, der schätzt eben andere Dinge. Und wer lebt hier? Santa meint, es gebe den Satz, dass unter 100 Menschen immer 5 "Besondere" seien. Hier in Dawson sind eben mehr als nur die 5 %. "People that drift in their lives, they usually drift to the end of the road. During most of the year, there is no ferry in Dawson, so the end of the road is here. And that's where they stay." Er selbst kam für eine Frau nach Dawson. Die Frau ging, er aber ist geblieben.

Und schätzt wie die anderen Einwohner in Dawson und in den Hütten in den umliegenden Wäldern zum Beispiel die Aurora Borealis, die man im Herbst und Frühjahr "ohne Ende" betrachten kann. Und Santa erklärt uns, dass wenn Einheimische über Temperaturen im Winter sprechen, das "Minus" davor weggelassen wird. So sei es noch wirklich angenehm, 25 Grad Celsius zu haben, man könne bei 30 oder 40 Grad noch draußen arbeiten, wohingegen er es bei 50, 55 Grad Celsius einfach zu kalt draußen findet. Sagt der Mann, der im kalten, kräftigen Gipfelwind im T-Shirt neben mir sitzt, während ich Fleece und Regenjacke um mich geschlungen habe. Man wird aber schon als Schulkind an diese Temperaturen gewöhnt, denn bis (-) 25 bis 30 Grad Celsius werden die Kinder noch zum Spielen in den Schulpausen nach draußen gelassen. Und dann wird es tiefer Winter und es kommen 6 Wochen im Jahr, in denen die Sonne die umliegenden Hügel kein einziges Mal übersteigt und es komplett dunkel bleibt.

Ich: "Well, what do you do in winter time?"
Santa: "Well why, you just live."



Fazit Tag 18:

"There's gold, and it's haunting and haunting;
It's luring me on as of old;
Yet it isn't the gold that I'm wanting
So much as just finding the gold.
It's the great, big, broad land 'way up yonder,
It's the forests where silence has lease;
It's the beauty that thrills me with wonder,
It's the stillness that fills me with peace."


(aus "The Spell of the Yukon" von Robert Service)

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